Hamburgs Elbphilharmonie-Architekt: "Ein Druck fast wie in Italien"
Architekt de Meuron wirft Hamburg vor, die Elbphilharmonie aus politischen Gründen zu früh ausgeschrieben und damit Kostensteigerungen provoziert zu haben. Er habe gewarnt.
HAMBURG taz | Eigentlich wäre sie bald fertig: Am 30. November hätte das Konzerthaus Elbphilharmonie, erklärtermaßen Hamburgs neues Wahrzeichen, übergeben werden sollen - so steht es in einem Papier der Hamburgischen Bürgerschaft aus dem Jahr 2008.
Inzwischen spricht die ausführende Baufirma Hochtief von einer Fertigstellung im April 2014, und die Kosten für die öffentliche Hand stiegen von anfangs 77 auf zuletzt 323 Millionen Euro. Überhaupt fordert Hochtief stetig mehr Geld und Zeit, und die Stadt steht dann immer etwas hilflos da: Ihre schlampigen Verträge machen derlei Nachforderungen erst möglich.
Hinzu komme eine merkwürdige Dreiecks-Konstruktion aus Architekten, Baufirma und Stadt, monierte der zuständige Architekt Pierre de Meuron jetzt im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, den Hamburgs Bürgerschaft zum Thema eingesetzt hat: Normalerweise kommunizierten Architekt und Bauunternehmen direkt und könnten unkompliziert Pläne austauschen.
Bei der Elbphilharmonie aber ist die städtische Realisierungsgesellschaft Rege dazwischengeschaltet. Eben die habe versagt, sagte de Meuron: "Die wussten gar nicht, wofür ein Projektsteuerer eigentlich da ist."
Auf der Baustelle stagnieren derzeit die Aktivitäten, weil Hochtief und die Stadt darum streiten, ob das Saaldach halten wird, wenn die provisorischen Stützen weggenommen werden. Hochtief verlangt entsprechende Berechnungen der Stadt - und die will nichts herausgeben. Auch dieser Streit ist resultiert aus dem Kompetenz-Wirrwarr, der sogar die Planungsetappen zwischen Architekten und Hochtief splittete.
Warum die Stadt so verhuschte, unvorteilhafte Verträge machte, wusste de Meuron nicht zu sagen. Es passe auch gar nicht zur massiven Weise, in der die Stadt ihm gegenüber aufgetreten sei: "2006 wurde die Ausschreibung des Projekts unter Hochdruck durchgepeitscht, obwohl wir sogar schriftlich gewarnt hatten", sagte er.
"Unsere Pläne waren so unfertig, dass Hochtief viel hineindeuten und Geldnachforderungen damit begründen konnte." Die Stadt habe diese Warnungen ignoriert, führte der Architekt aus. "Ich hatte das Gefühl, die wollten mit dem Kopf durch die Wand."
Begründungen für das städtische Auftreten gab es nicht, und 2008 wiederholte sich das Spiel sogar noch mal: Da hatten Stadt und Hochtief einen "Nachtrag" gezimmert, der einen Festpreis und einen für alle verbindlichen Terminplan enthalten sollte. Wieder habe die Stadt die Architekten-Pläne zu früh haben wollen, sagte de Meuron jetzt: "Sie wollten uns zwingen, zu knappe Terminpläne zu unterschreiben. So einen Druck habe ich bisher nur in Italien erlebt."
Erst im Nachhinein habe ihm gedämmert, dass die Hektik wohl mit anstehenden Wahlterminen zusammenhing und sich die örtlichen Politiker mit der Elbphilharmonie schmücken wollten - "mit der Realität", sagte de Meuron, habe das "nichts zu tun" gehabt.
Das Resultat: noch mehr provisorische Pläne, die eine neue Nachforderungs-Lawine von Hochtief lostraten. "Völlig überflüssig", sagt de Meuron. "Die meisten dieser Nachforderungen sind unberechtigt."
Für die Verteuerung des Projekts hätten auch nicht etwa extravagante künstlerische Gestaltungsambitionen der Architekten gesorgt, sondern Sonderwünsche seitens der Stadt: Dieser nämlich sei irgendwann aufgefallen, dass sie mehr Parkplätze brauche und man den alten Backstein-Speicher entkernen müsse, auf dem die Elbphilharmonie thront.
Das aber habe die Statik verändert und zu teuren Nachgründungen geführt. Und dass ein plötzlich gewünschter dritter Konzertsaal nicht kostenneutral zu haben sei, sagte de Meuron, sei wohl klar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“