Hamburger Stadtentwicklung: Glanz und Ranz
Nach einer Immobilienstudie gehört die einst schmuddelige Große Elbstraße in Hamburg zu den teuersten Pflastern Deutschlands. Hamburgs Bürgermeister in spe Olaf Scholz verbucht das als Erfolg für sich.
Hamburg, ganz unten: Die Große Elbstraße. Hamburgs Stinkestraße: Fischverarbeitungsanlagen und Mälzereien verpesteten dort die Luft, ansonsten nichts als Schuppen und Speicher. Hamburgs Schmuddelstraße: Noch Mitte der 1990er Jahre schossen dort mit Einbruch der Dämmerung Frauen in Skianzügen aus dem Boden. In die Jahre gekommene Frauen, die oben, auf dem legalen Strich der Reeperbahn, keinen Stich gesehen hätten.
Das war einmal. Heute lässt es sich in der Großen Elbstraße hübsch leben, vorausgesetzt, man kann sichs leisten. Nach einem Ranking des Immobilienmaklers Engel & Völkers gehört die Straße zu den teuersten Deutschlands. 15.000 Euro muss man dort für eine Eigentumswohnung hinblättern - pro Quadratmeter. Höhere Preise erzielten die Makler deutschlandweit nur auf der Hamburger Millionärsmeile Harvestehuder Weg entlang der Außenalster (16.000 Euro) und im Dorf Kampen auf Sylt (35.000 Euro). Die alte Dame Elbchaussee, einst Hamburgs Prachtstraße, vom Dichter Detlev von Liliencron um 1900 als "schönste Straße der Welt" apostrophiert, liegt abgeschlagen bei 12.000 Euro pro Quadratmeter.
Was die Preise in der Großen Elbstraße so in die Höhe treibt, ist zum größten Teil ein Tower, direkt an der Wasserkante des alten Holzhafens. Engel & Völkers vermarktet das fast fertiggestellte Gebäude des holländischen Architekten Kees Christiaanse unter dem Namen "Kristall". So glänzt der 72 Meter hohe Doppelturm aus Glas. 37 Luxuswohnungen beherbergt er, zwischen 160 und 400 Quadratmeter groß.
1994 erhält der Investor Büll & Liedtke vom Senat das Grundstück am Holzhafen als Entschädigung für Einschränkungen bei der Errichtung der Markthalle "Mercado" am Altonaer Bahnhof. Dieser Bau steht auf den Resten eines jüdischen Friedhofes von 1664.
Nach monatelangen Protesten orthodoxer Juden 1991/92 gegen die Bebauung gestattet der aus Jerusalem gekommene Oberrabiner Itzchak Kolitz die Überbauung des Friedhofes.
Die geplante Ausschachtung für eine Tiefgarage muss unterbleiben. Dafür werden Parkplätze auf dem Dach angelegt, wodurch die Büroflächen kleiner werden.
Architektonisch wirkt das Gebäude mit seinen zwei leicht versetzten Türmen solide. Städtebaulich ist es ein Rätsel. Es sprengt den Maßstab der umliegenden Gebäude, verbaut den Blick auf die Elbe und nimmt keinerlei Bezug auf den historischen Ort. Des Rätsels Lösung: Die Investoren Büll & Liedtke bekamen das Grundstück 1993 von der Stadt als Kompensation, nachdem sie auf eine Tiefgarage für das Einkaufszentrum Mercado im nahen Stadtteil Ottensen verzichteten, unter dem ein alter jüdischer Friedhof lag (siehe Kasten).
Weitere Scherereien wollte die Hansestadt Büll & Liedtke ersparen. So ließ man ihnen bei der Bebauung des Holzhafens freie Hand und räumte auch noch eine Anwohnerinitiative beiseite. Beim Richtfest erinnerte sich ein früherer SPD-Kreisvorsitzender sehr genau an den Widerstand: "Jeden einzelnen Stein habe ich gegen wechselnde Mehrheiten in Altona durchsetzen müssen", zitierte ihn das Hamburger Abendblatt. Es war: Der gute Olaf Scholz, wenn man aktuellen Umfragen trauen darf Hamburgs nächster Bürgermeister.
Scholz, das muss man ihm lassen, hat damit Geschichte (mit)geschrieben: die Geschichte, wie aus einem profanen Ort harter, körperlicher Arbeit der sakrale Ort von Luxus und Leisure wird. Wobei die Pointe der Großen Elbstraße - und mit ihr des gesamten neuen Urbanismus - gerade darin besteht, dass das eine nicht einfach an die Stelle des anderen tritt. Nein: Der Luxus hebt den Schmutz in einer perversen, hegelschen Operation auf, in der dieser zugleich in steriler Form bewahrt wird. Das ist es, was die Große Elbstraße gegenüber der Elbchaussee auszeichnet: Die Elbchaussee hat Glanz, die Große Elbstraße hat Glanz und Ranz. Den Ranz allerdings nicht mehr als etwas Störendes, Abstoßendes, sondern als Patina, als Kulisse, als Verpackung und Design.
So wird zwar noch Fisch aus Norwegen in die Große Elbstraße gekarrt. "Lachs kommt immer auf Axe", sagt ein LKW-Fahrer am Eingang des Fischmarkts - gefroren und geruchsneutral. Er wird auch zum Teil in der Großen Elbstraße verarbeitet, etwa in der "Gläsernen Fischmanufaktur": Was man durch die Scheiben aber sieht, sind junge Männer und Frauen in klinisch reiner Kluft, damit beschäftigt, Plastiktütchen aufzuhalten, in die geputzte Garnelen purzeln. Was fürs Auge für all jene, die sich der Plackerei im Leben enthoben wissen. Wie auch der Turm was fürs Auge ist - für all jene, die ihn nie betreten werden. "Wer hier vorübergeht und hinaufblickt, wird die wenigen, denen es vergönnt ist, hier zu wohnen ,n büschn beneiden" heißt es dazu auf der Vermarktungs-Website des "Kristall".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!