Hamburger SV: Betteln um Applaus

Am 9. Januar entscheidet die Hauptversammlung über die Zukunft des ehrenwerten Hamburger Sportvereins. Wer wissen will, was es mit diesem Verein auf sich hat, muss sich Gedanken über die Stadt Hamburg machen.

Hauptversammlung beim HSV: am 9. Januar ist es wieder so weit. Bild: dpa

Im Schwäbischen gibt es einen Ausdruck, der keine Entsprechung im Hochdeutschen hat. Der Ausdruck heißt "Graddel", und "Hochmut" trifft es nicht.

Hamburg ist eine Stadt, in der vom Marktführer des geschriebenen Worts fast jeder Fremde zu einer Äußerung über den Ort und seine Schönheit genötigt wird. Keine Woche vergeht, in der nicht irgendjemand im Abendblatt behauptet, Hamburg sei die schönste Stadt der Welt.

Diese Frage muss deshalb immer wieder gestellt werden, weil die Antwort die tiefe Unsicherheit nicht zu heilen vermag, in der die Frage wurzelt. Es gibt Hamburger, die halten sich und ihre Stadt für was Besonderes. Die Frage ist: Sehen auch die anderen, wie toll wir sind? Und so sucht ein Teil dieser Stadt, die sich für ein Bundesland ausgibt, ständig nach Anerkennung, bettelt um Applaus, verlangt nach Beachtung. Und alles, was die Anerkennung stören könnte: Armut, die Rote Flora, Obdachlose, offene Drogenszene, Kriminalität, werden nicht als politische und soziale Probleme der Stadt, sondern als solche der Außendarstellung verstanden.

Deshalb spielt der Schein in dieser Stadt eine große Rolle. Die Elbphilharmonie ist ein Beispiel. Sie wird für Touristen, die Silhouette der Stadt, Architekten, für von Beust, die Stadtplaner gebaut. Nicht für einen großen Teil der Bürger.

Die Elbphilharmonie des Hamburger SV heißt Ruud van Nistelrooy. Ein Name, ein Weltstar - vor zehn Jahren. Auf Namen fährt ein Teil des Vereins ab, fast alle Medien. Vom HSV werden Stars gefordert, der HSV fragt nicht, warum er diese Forderungen erfüllen soll und wer sie mit welchem Recht erhebt. Auch der HSV schielt mehr auf den Schein und schaut nicht darauf, was der Mannschaft hilft. Van Nistelrooy hilft nicht.

Mit Bernd Hoffmann, dem Vorstandsvorsitzenden des HSV, sollte man nicht über Fehleinkäufe wie Marcus Berg oder David Rozehnal streiten, sondern über die Idee, die hinter der Verpflichtung van Nistelrooys stand. Hoffmann holte den damals 34-jährigen Stürmer und kritisierte die Nachwuchsabteilung, weil sie zu wenig Talente in den Profikader bringe. Mehr Inkonsistenz geht nicht. Es gehört Mut dazu, Mannschaften wie die von Borussia Dortmund, dem FSV Mainz oder dem FC St. Pauli aufzubauen. Ohne Stars. Und an diesem Konzept festzuhalten, wenn es nicht läuft. Es muss viel zusammenpassen, damit solche Teams entstehen: Gute Nachwuchstrainer, ein guter Nachwuchskoordinator, ein mutiger, sich und seiner Sache sicherer Sportdirektor, gute Scouts, Zuschauer, die nicht pfeifen, wenn der 18-jährige Innenverteidiger Muhamed Besic Fehler macht, Medienvertreter, die sich nicht in die Hose machen, wenn der HSV drei Spiele verliert, und ein Trainer, der die Jungen bringt.

In den vergangenen zehn Jahren waren beim HSV nie alle Bedingungen erfüllt. Hoffmann setzt auf Stars und die Trainer wissen das. Welcher Coach traut sich, den alten Torschützenkönig der niederländischen, englischen und spanischen Liga auf die Bank zu setzen, damit Heung-Min Son spielt? Vielleicht der, den sie jetzt haben.

Der hauptamtliche Vorstandsvorsitzende Hoffmann, um dessen Vertragsverlängerung es bei der Hauptversammlung am 9. Januar auch geht, ist von vielen als die Schuldigen an der Misere des HSV ausgemacht worden. Hoffmann fing im Februar 2003 an, sein 2007 verlängerter Vertrag geht bis Ende 2011. Der HSV spielt nicht gut, liegt im Mittelfeld der Tabelle, andere Nordclubs wären darüber froh. Als Misere kommt das nur denen vor, die glauben, der HSV sei so groß wie die Stadt schön.

Was auch mit ein wenig Distanz und Realismus bleibt, ist, dass der HSV nicht begeisternd spielt, es kann sein, er verpasst den europäischen Wettbewerb. Entscheidend ist, wie man das diskutiert. Ein neunter Platz "ist nicht unser Anspruch", sagt Hoffmann. Eine Mannschaft, die so viel kostet, muss weiter vorne stehen, sagen die Fans. Man kann viele Ansprüche haben, Wirklichkeit geht anders, und ein Zusammenhang zwischen Geld und Leistung existiert nicht. Dafür gibt es in dieser Stadt der Beispiele viele: von der HSH Nordbank, über die prächtige Riege der Senatoren, bis zu einem Regierungschef, der in zentralen Fragen seiner Politik einem Chamäleon gleicht. Graddel ist natürlich auch, dem Regierungschef vorzuwerfen, er sei kein Hamburger, als ob es nicht ein paar stichhaltige Vorwürfe gegen den Mann gäbe.

Es mag Vereine in der Bundesliga geben, die so, wie der HSV strukturiert ist, arbeiten können. Mit einem Etat von 140 Millionen Euro, einer sehr kritischen Mitgliedschaft, eitlen Aufsichtsräten und einem Vorstand, der vieles gut und einiges weniger gut macht. Der HSV kann es nicht. Die entscheidenden Fragen werden nicht öffentlich diskutiert: die nach der Ausgliederung der Fußballabteilung. Und die, was der HSV realistischerweise sein kann: Startruppe, Ausbildungsverein, Meisterschaftskandidat.

Hoffmann hatte 2005 erklärt, unter die ersten 20 Clubs Europas kommen zu wollen. Er weiß, was viele HSV-Fans hören wollen, dem nachzugeben war falsch. Hoffmann würde gerne ausgliedern, das Problem ist, dass noch nie in einem öffentlichen Diskurs Vor- und Nachteile ausgebreitet wurden. So bleibt das Strippenziehen. Die Hoffmann-Gegner ziehen, die anderen auch. Nur weil Konflikte nicht offen ausgetragen werden, verschwinden sie nicht.

Die Mannschaft spielt, wie der Verein ist, und der ist wie die Stadt. Passt doch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.