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Hamburger HauptbahnhofKein Platz für „Stuttgart“

Luis war immer wieder am Hamburger Hauptbahnhof – bis jetzt. Seit die Bahn das Regiment übernommen hat, ist dort für Leute wie ihn kein Platz mehr.

Schilderdemontage am Hamburger Hauptbahnhof: Der Senat hat gerade die Hoheit für die überdachten Bereiche der Bahn übertragen. Bild: Frank Berno Timm

HAMBURG taz | Seit Donnerstag ist die Welt am Hamburger Hauptbahnhof eine andere: Unter den Hallenvordächern hat jetzt die Deutsche Bahn das Sagen. Schon wurden die ersten Schilder aufgehängt, die neue Regeln ankündigen. Das wird auch Luis treffen.

Dass der 19-Jährige meistens auf der Straße lebt, sieht man ihm nicht an. Sein Irokese ist frisch geschoren. Am Mund ein Plastikpiercing. Luis trägt Springerstiefel und Punkerklamotten. Am Gürtel baumelt ein Isobecher mit Hamburg-Motiv. Er steht mit seinen Freunden zusammen: Litauer, Franzosen und Österreicher, die alle in Hamburg gestrandet sind. Die offene Rotweinflasche kreist schon nachmittags.

„Ich reise im Sommer meistens rum“, sagt Luis. Vor ein paar Wochen verschlug es ihn nach Hamburg, im Winter hat er gern eine feste Bleibe. Seine Geschichte ist heftig: Die Adoptivmutter steckte ihn ins Heim, es gab immer wieder Schwierigkeiten, neue Unterbringungen, neue Probleme. Irgendwann, sagt Luis, sei er durch das Rost gefallen, seit drei Jahren lebt er auf der Straße.

Repression

Zur Bekämpfung der offenen Drogenszene am Hamburger Hauptbahnhof ging die Polizei schon in den 1990er Jahren repressiv vor: Allein zwischen 1991 und 1994 wurden rund 10.000 Drogenabhängige und mutmaßlichen Dealer ohne richterlichen Beschluss in Gewahrsam genommen.

Eine Sicherheitswache am Hauptbahnhof eröffnete der damalige Innensenator Olaf Scholz (SPD) 2001. Unter einem Dach finden sich hier Bundespolizei, Hamburger Polizei und "DB Sicherheit", die schon in der Vergangenheit zusammen Streife gingen.

Schills Erbe: Seit 2002 werden Junkies am Hauptbahnhof mit klassischer Musik beschallt.

Dabei hat er mit einem Durchschnitt von 1,8 keinen schlechten Realschulabschluss in der Tasche. Auch sein Wunsch, Koch zu werden, klingt nach Zukunftsplänen, aber Luis hat die Ausbildung schon zweimal abgebrochen. „Alles, was ich anfange, reiße ich immer wieder ein“, sagt er. Zuletzt war es ein 400-Euro-Job und ein Platz in einer betreuten Wohngemeinschaft: „Da habe ich zu laut gefeiert und bin rausgeflogen.“ Seinen Hund hat Luis, den hier am Bahnhof alle nur „Stuttgart“ nennen, einem Kollegen weggenommen, der ihn gequält hat.

„Das räumen wir alles weg!“

Unter den Bahnhofsvordächern an der Kirchenallee kommen immer wieder Kumpel vorbei. Wenn sich das Gespräch nur im Ansatz um Drogen dreht, reagiert Luis wütend und schickt die Leute weg. „Das fällt immer auf uns Punker zurück – ich will damit nichts zu tun haben!“ Natürlich feiern auch sie am Bahnhof, sicher entstehe dabei auch mal Müll – „aber das räumen wir alles weg!“

Im „Kids“ am Heidi-Kabel-Platz haben junge Leute, die auf der Straße leben, eine Anlaufstelle. Sie müssten sich darauf konzentrieren, „dass die Spirale nach unten aufgehalten wird“, sagt Burkhard Czarnitzki. Nicht alle wollen sich vom Staat unterbringen lassen. Das könne schon daran scheitern, dass Paare unter den Straßenjugendlichen getrennt oder Haustiere in stationären Einrichtungen nicht zugelassen würden.

„Ich hätte nicht gedacht, dass jetzt schon Entscheidungen getroffen werden“, sagt Czarnitzki zu den neuen Regeln am Hauptbahnhof. Der Arbeitskreis aus Sicherheits und Sozialverantwortlichen, dem er angehört, habe sich gerade dreimal getroffen. „Den jetzigen Entscheidungen hätte ich so nicht zugestimmt“, sagt der Sozialarbeiter. Er ist überrascht über diesen „Schnellschuss“.

Luis wundern die Veränderungen nicht: „Das war klar, dass die hier mal aufräumen.“ Er sieht die neuen Sitten nüchtern und erzählt von Hoffnungen auf feste Bleiben, die sich gerade zerschlagen haben. Nun will er erstmal sehen, dass er ins Hamburger Winternotprogramm kommt.

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12 Kommentare

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  • H
    HamburgerX

    Die Maßnahmen der Bahn sind zu begrüßen.

  • J
    johnny

    @Wolfgang Banse:

     

    es steht jedem frei in seiner Wohnung Menschen aufzunehmen.

     

    Hopp, hopp, wie lautet deine Adresse und wieviele Schlafplätze sind zu vergeben?

     

    @FranKee:

     

    auch dir steht frei, dein Klo zur Verfügung zu stellen. Wo wohnst Du und von wann bis wann können es die Bedürftigen nutzen?

     

     

     

    wiiiiieeee? wollt ihr nicht? na dann mal nicht so doppelzüngig daherschwafeln.

  • V
    vic

    Das System, FranKee. Das System.

    Hier regelt der Markt sogar das Pinkeln.

  • KJ
    @kein Junkie

    Koks-Schill musste es ja wissen...

  • F
    FranKee (Pirat)

    Zu den bösen, schlechten Menschen gehören übrigens auch Fahrradfahrer. Das merkt man nicht nur an den Schikanen mit Fahrrad im Fernverkehr (Kambodscha mit Rucksack ist wirklich einfacher als Hamburg-Berlin mit...) sondern auch auf dem "Bahnhofsgelände"

     

    Sehr entgegen z.B. dem Urteil des VG Münster (1 K 1536/07) gibt es da doch eine Vielzahl angeblicher Abstellverbote. Mit entsprechend massiven Drohungen...

     

    Gute Mensch fahren Bahn. Und vielleicht noch SUV, 16 Liter und grüne Umweltplakette.

  • F
    FranKee (Pirat)

    Wobei die "Wache" am Hauptbahnhof eine "Sicherheitswache" ist. Ich interpretiere das als: Bürger mit normalen polizeilichen Anliegen mögen sich freundlicherweise verpissen.

     

    Direkt daneben wurden früher schlechte, böse Menschen regelmässig weggehetzt. Jetzt sitzen da (im Sommer) brave, gute Menschen. Sogar an Tischen. Gute Menschen erkennt man prinzipiell daran, daß sie sich einen Latte Machiatto Caramel Decaf Tall für ca. 4.65€ leisten können.

     

     

    Apropos verpissen: Müssen Cafes+Restaurant, spätestens mit Sitzgelegenheit, nicht eigentlich Toiletten vorhalten? Warum kostet das dann 1 Euro?

     

    Klingt nickelig, aber sorgt natürlich dafür, dass Menschen ohne Geld irgendwo hinpinkeln. Anschliessend können sich lupenreine Christ/Sozialdemokraten wieder mal ganz prima über die "Belästigungen" durch Obdachlose beklagen... und das man da mal "was tun muss"...

     

    Auch dieser Bereich wurde am Hauptbahnhof gnadenlos kommerzialisiert. Mit Kameras(!), Sperrgittern, Ticketsystem und ... an Münzmaschinen gekoppelte Drehkreuze. Damit -um gottes Willen- die bestimmt spitzenverdienende 50 cent zuviel kriegt.

     

    Wie gesagt: Ich halte das nicht nur moralisch unter aller Sau, sondern auch formal für einen möglichen Verstoss. Für seinen Klobesuch bekommt man einen "Gutschein" über 50cent. Den irrwitzigerweise viele Händler wiederum an einen Mindestumsatz koppeln...

     

    Übrigens, in normalen Kneipen mit WC-Pflicht darf ich auch pinkeln gehen, bevor ich mein Bier getrunken und/oder bezahlt habe. Es ist gewissermassen wahlfrei.

     

    Darf ich sagen, daß ich das alles nicht verstehe?

  • P
    pablo

    Das Problem wird so nicht gelöst sondern nur in andere Stadtgebiete ausgelagert bis sie an den neuen Standorten wieder zum Problem werden. Da kann man nur hoffen das es dort keine Touristen gibt die durch Obdachlose, Punks, Alkis, etc. ja angeblich in Hamburg das weite suchen wenn sie bisher am Haupsbahnhof ausgestiegen sind.

  • WR
    Weiße Rose

    Die Fassade bei der Bahn muss eben stimmen!

    Die nächste satte Fahrpreiserhöhung sowie die chronisch unpünktlichen Züge vermiesen ohnehin dem geneigten Bahnkunden die vorweihnachtliche Stimmung.

    Da möchte man wenigstens saubere Bahnhofsvorplätze präsentieren, auch wenn hierfür Punker und sonstige Freaks von den Möchtegern-Paramilitärs der Bahn einen Arschtritt kassieren.

    Hurra! Hamburg wird endlich sauber! Schills Geist ist eben überall...

  • T
    Thomas

    "Schon wurden die ersten Schilder aufgehängt, die neue Regeln ankündigen. Das wird auch Luis treffen."

     

    Was ändert sich den?

    Welche neue Regeln betreffen Luis und seinen Hund?

    Schade das hier alles nur angedeutet wird ...

  • WB
    Wolfgang Banse

    Menscehn ohne Wohnung und Obdach bleiben Menscehn

    Menschen ohne wohnung und Obdach wird die menschliche Würde genommen.Von der Bevölkerung werden sie stigmatisiert und diskriminiert,nirgends snd sie beliebt und erwünscht,so auch was Luis anbetrifft.

    Der Sicherheitsdienst bei der DB geht nicht gerade zimperlich mit diesem Personenkreis um.was verabscheuungswürdig und menschenverachtend esehen werden kann.

    Menschen ohne Wohnung-und Obdach haben in der gesellschaft keine Lobby,auch in einem christlichen land ,trotz der zunehmenden Säkularissierung.Auch Jesus war obdachlos,swie seine Eltern was seine Geburt anbetrifft..."Denn sie hatten keinen Platz in er herberge." Auch i der Kirche und deren wWrke werden Menschen ohne Obdach und ohne Wohnung nicht immer mit Würde behandelt.Ja die Geschäfte mit der vorhandenen Not kennzeichnen das diakonsche und caritative Handeln.Fließt kei Bares,gibt ers ach keine Nächstenliebe und Barmherzigkeit.

    Der Superintenent des Kirchenkreises Berlin-Stadt-Mitte Dr. Bertold Höcker hat sich gegen die Integration von Wohnungs-und Obdachlosen ausgesprochen,im Hinblick diese Menschen bedürfen einer Sonderbehandlung.Hier wird ganz deutlich ein gewisses geitiges Gedankengut,Diskriminierung und Stigmatsierung,Apartheid.

    Niemand darf auf Grund einer....benachteiligt werden,so steht es im Passus des Grundgesetzes im Artkel 3,Abs.3.

    Anschenend macht der Superintendent Dr. Bertold Höcker selbt zu eigen ,im Bezug auf seine Hmosexualität.

    In die wohnungs-und Obdachlosigkeit kommt man schnell herein,nur nicht schnell wieder heraus.

  • J
    johnny

    Luis sieht das ganze offenbar nüchterner und mit mehr Verstand als so manche Kommentatoren bei dem letzte taz-Artikel zum Thema.

  • KJ
    Kein Junkie

    "Schills Erbe: Seit 2002 werden Junkies am Hauptbahnhof mit klassischer Musik beschallt. "

     

    Nee, das werden alle, nur weil Typen wie Schill in ihren Unendlichen borniertheit denken, dass Junkies bei solcher Musik das Weite suchen.