Hamburger Hafen: Einfallstor für Seuchen

■ Die Cholera-Epidemie war der Auslöser für die Gründung: Hafenärztlicher Dienst feierte seinen hundertsten Geburtstag

feierte seinen hundertsten Geburtstag

Hamburg im Sommer 1892: Während die Upper Class der Hansestadt die heiße Jahreszeit wie stets an kühlen Nord- und Ostseestränden verbringt, bahnt sich innerhalb der Stadtmauern eine Tragödie an. Als am 14. August ein Arbeiter aus Altona an starkem Brechdurchfall stirbt, ahnt noch niemand die Katastrophe: Die Cholera grassiert und kostet innerhalb weniger Monate über 8000 Menschen das Leben.

Hamburg in den Zeiten der Cholera — ein politischer Skandal: Trotz eindringlicher Warnungen aus Berlin hielten es die Pfeffersäcke im Senat nicht für nötig, die drohende Seuche durch hygienische Vorsorge abzuwenden. Über den Hafen konnten ansteckende Krankheiten leicht auf angrenzende Wohngebiete übergreifen.

Kläranlagen fehlten: Die Abwässer flossen direkt in die Fleete, aus denen die ärmeren Bevölkerungsschichten ihr Trinkwasser schöpften. In den „Gängevierteln“ zwischen Michel und Hafen herrschten slumähnliche Lebensverhältnisse. Hier breiteten sich Krankheitserreger in kürzester Zeit aus.

Die Folgen der Cholera-Epidemie spürten bald auch die besseren Kreise. Waren aus Hamburg wurden boykottiert, Schiffe unter Quarantäne gestellt, Züge fuhren nicht mehr. Die Wirtschaft kam zum Stillstand. Hektisch suchte der Senat nach Gegenmaßnahmen.

Der Hafen, so waren sich die Stadtregenten bald einig, müsse als Krankheitsherd einer dauerhaften medizinischen Kontrolle unterworfen werden. Ein entsprechender Vorschlag des „Medicinal-Collegiums“, dem Vorläufer der Sozialbehörde, wurde innerhalb von Tagen umgesetzt. Vor genau hundert Jahren übernahm Dr. Bernhard Nocht — das heutige Hamburger Tropeninstitut ist nach ihm benannt — die Leitung des neugegründeten „Hafenärztlichen Dienstes“.

Als eine Gesundheitspolizei sollte dieser künftig die hygienischen Verhältnisse auf den Schiffen überwachen, um das Einschleppen von Krankheiten zu verhindern. Gesundheits- und wirtschaftspolitische Interessen verbanden sich: Selbst die Reeder sahen ein, daß diese Kontrollen auf Dauer positiv zu Buche schlagen würden.

In der Tat trug der hafenärztliche Dienst mit dazu bei, daß der Hafen nach 1892 nicht wieder Ausgangspunkt einer Epidemie wurde. Wichtig war dabei vor allem die „Entrattung“ der Schiffe — auf jedem Kahn fuhren Hunderte der possierlichen Nager mit und übertrugen nicht selten die Pest.

Auch Malaria schleppten viele Seeleute mit ein; 4000 Fälle wurden allein in den Hungerjahren

11923-27 registriert, daneben Typhus, Ruhr und Tuberkulose. Dann aber wurden die Seuchen weitgehend aus dem Hafen vertrieben.

Der hafenärztliche Dienst dagegen blieb, wenn auch nicht mehr als reine Gesundheitspolizei, sondern als medizinische Beratungsein-

1richtung: Beim Transport gefährlicher Güter, als reisemedizinische Beratung für Seeleute und Touristen, außerdem in Sachen Aids.

Daneben bleiben die traditionellen Aufgaben: Medizinische Behandlung von Seeleuten, Kontrolle der Trinkwasserversorgung und der

1Lebensmittelhygiene an Bord. Knapp 6000 Schiffe, das waren 40 Prozent derer, die im Hamburger Hafen festmachten, wurden allein 1992 von den Hafenärzten und Inspektoren aufgesucht. Und auch den „Rattentest“ muß noch heute jedes Schiff bestehen. Uli Mendgen