Hamburger Filme auf der Berlinale: „Die Eroberung der Mitte“ von Robert Bramkamp und „Die Mediocren“ von Matthias Glasner

„Die Eroberung...“

Schiffchen versenken spielt der Therapaut Mark Stroemer (Peter Lohmeyer) mit seiner Ex-Klientin und Geliebten Carolin (Franziska Ponitz), läßt sie das Gewehr nehmen und auf ein Santa-Maria-Modell auf dem Gartenteich ballern. Beim zweiten Schuß versenkt. Mit welchen paradoxen Interventionen er die Ich-Schwache dazu in zwei oder drei Sätzen gebracht hatte? Vergessen. Eine Szene irgendwo mittendrin in Die Eroberung der Mitte, dem ersten Spielfilm von Robert Bramkamp, uraufgeführt am Sonntag im Forum der Berlinale: Vergessen mögen diesem Debut blühen, das dennoch kurz näher vorgestellt sein will.

Nicht wegen der niedlichen kleinen Kettensäge, die sich einmal durch ein dünnes Weißbrot müht. Nicht weil Bramkamp drei Jahre hartnäckig um die Realisierung seines Projektes gekämpft hat. Und auch nicht als Exempel für Filmförderung, wenngleich das 480.000 Mark-Werk unter Beteiligung von Gremien in Hessen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern produziert wurde.

Der Film schildert laut Presseheft „die Abenteuer des skrupellosen Erfolgstherapeuten Mark S. und seiner Gegenspielerin Wolke Donner, die unter falscher Identität sein Vertrauen erwirbt, um ihm das Handwerk zu legen“. Das ist der böse, mindestens größenwahnsinnige Seelenfänger, der allerdings auch Klienten wie den ekligen Makler Jacoby (John S. Mehnert) nachhaltig aus der Fassung zu bringen versteht. Und natürlich verknallt sich der Psychoklempner und Ratgeber-Autor am Ende ein bißchen in die „intelligente und attraktive Spionin“ – Karina Fallenstein als kühle Blonde Wolke D.

Klingt noch nicht so kompliziert, ist es aber auf der Leinwand. Zwar reihen sich Tage, Jahre, Rückblenden, Diagnosen und die Selbstmorde der Klienten hübsch aneinander, dennoch ist dem Bilderwerk kaum zu folgen. Aus dem Nichts taucht zu allem gedankenverspielten Überfluß auch noch ein leicht tumber, aber ambitionierter Chef einer Krankenversicherung (Matthias Fuchs) auf. Er will einen Konzern mittels der geradezu wundertätigen Seelenbehandlungsmethode des Herrn S. sanieren.

Und doch hat das Psychotherapeuten-Drama ums „Innen- und Außenseiter“-Dasein in einer Zeit, „die zwanghaft zur Normalität zurückdrängt“, auch beinah lustige Augenblicke. Etwa den ständig zwischen Krebsdiagnosen und Hypochondrie laborierenden Makler, der unter therapeutischem Einfluß die Wohnungssuchenden um Mietverträge losen läßt.

Was immer die zu erobernde Mitte war, sie bleibt unangestastet, zerfranst, verfahren. Der Regisseur und Autor hatte zu viel zu erzählen und dafür doch noch zu wenige Erfahrungen. Immerhin hat er davon sicher einige sammeln können, wie im nächsten Film zu beweisen wäre. jkn

„Die Mediocren“

Ob die Figuren dieses Films ein Herz haben, muß offen bleiben. In einigen Szenen meint man, sie haben es – vergraben irgendwo –, aber zeigen, zeigen tun die Figuren ihr Herz nie. Höchstens daß sie es auf der Zunge tragen. Denn egal, ob im Auto, in der Küche oder im Bett: Immer müssen die vier nicht mehr ganz jugendlichen und noch lange nicht erwachsenen Antihelden reden, quasseln, quatschen, so als sei ein Moment der Stille der größtmögliche, der Ultra-Horror.

Generation X – dieses Signum springt den Zuschauer an aus jedem Bild des in Hamburg gedrehten, produzierten und (zusammen mit Nordrhein-Westfalen) geförderten, auf der Berlinale zur Weltpremiere gebrachten Films Die Mediocren von Matthias Glasner. Die Figuren haben Probleme und, was noch viel schlimmer ist: Sie wissen darum, wissen es so sehr, daß sich mancher Monolog (von Dialogen kann man im eigentlichen Sinn nicht sprechen, weil niemand den anderen aussprechen läßt und sowieso keiner zuhört) wie ein Nachklapp der 68/89er-Debatte in der Zeit oder ein Kommentar zum ein-schlägigen Buch von Douglas Coupland anhört.

Die zwei Frauen und zwei Männer, von denen der 30jährige Glasner in seinem ersten abendfüllenden Spielfilm erzählt, sind Mitte bis Ende 20, suchen nach Geborgenheit (und flüchten davor), wollen nicht allein sein (und können keine große Nähe ertragen), haben schließlich Angst, ihr Leben zu verpassen (und können sich für kein Leben entscheiden). Nichts weniger als das Lebensgefühl einer, seiner Generation, der überall so genannten twenty-somethings, wollte Matthias Glasner schildern.

Es funktioniert nicht, denn Die Mediocren sind trotz vieler schöner, lustiger, selbstironischer Ansätze noch mehr vom Willen geprägt, als daß die Bilder und Szenen den Anspruch tatsächlich einlösten (ob das Thema nun noch unbedingt verfilmt werden mußte, noch mal ganz außen vor gelassen). Doch seltsam: Aus diesem Scheitern kommen sowohl der Regisseur wie sein Debütfilm nahezu unbeschädigt hervor. Manche Szene hat Glasner wirklich genau dem Leben abgeguckt, dazu sind die Figuren genau gebaut, und überhaupt, wem bei dem Thema einfiele, Die Mediocren mit Reality Bites zu vergleichen, sei gesagt, daß Glasners Film sehr viel rauher, kantiger, ungebändigter ausfiel.

Die Mediocren sind noch nicht der Film einer neuen Regisseursgeneration. Manches wirkt allzu forciert, aber deutlich ist spürbar: Da hat einer mit Suche nach Ausdrucksmitteln begonnen für heutiges Großstadtleben. Als nächstes will Matthias Glasner einen Film in New York drehen, danach einen über Schlampen. Wir sind gespannt. drk