: Hamburger Faktenlehre
Nach der Qualifikation für die Champions League durch ein 0:0 gegen Bröndby Kopenhagen redet HSV-Trainer Pagelsdorf lieber über internationale Perspektiven als die magere Darbietung des Teams
aus Hamburg CHRISTOPH RUF
Helmut Markwort und Frank Pagelsdorf haben außer ihrer lebensbejahenden Statur noch weitere Gemeinsamkeiten. So schätzt auch der HSV-Trainer in öffentlichen Verlautbarungen neben „Fakten“ und „Fakten“ lediglich „Fakten“. Zumindest solche, die er dafür hält.
Ein Fakt nach dem Geschmack des Trainers ist zum Beispiel, dass der HSV als Teilnehmer am diesjährigen Champions-League-Wettbewerb feststeht. Fakt ist, dass allein dies zwischen 15 und 30 Millionen Mark in die Vereinskassen spülen wird und dass jeder HSV-Spieler seit Dienstag, 22.20 Uhr um 150.000 Mark reicher ist: „Verdient weiter“ sei man nach dem 0:0 gegen Bröndby (Hinspiel: 0:2), habe mithin „die Chance, international dazuzulernen“. Auch sei man zweikampfstärker zu Werke gegangen als anlässlich der 0:4-Klatsche am Samstag bei Hertha. Noch ein paar lobende Worte für die Zuschauer („zwölfter Mann“), das Stadion („toll“) und den Präsidenten („freue mich besonders für Werner Hackmann“). Und beendet war die Pressekonferenz. Draußen starteten derweil HSV-Fans einen Autokorso, der mangels Überzeugungskraft schnell in den Regeln der Straßenverkehrsordnung erstickte, während die Journaille noch flugs vor Feierabend die zitierten Aussprüche durchgab.
War’s das also? Nein, denn der Pagelsdorf’sche Sermon beschrieb ebenso wenig die Realität eines wenig kurzweiligen Abends wie die allwöchentlichen Focus-Sketche den Alltag einer Redaktionskonferenz. Dabei hätte der Trainer allen Grund gehabt, die erneut massiv aufgetretenen Defizite im HSV-Spiel zu benennen: Etwa, dass die „Mannschaft für Europa“ trotz der „ersten europäischen La-Ola-Welle“ (Stadion-„Sprecher“ Uwe Bahn) eher paralysiert denn europäisch-beschwingt über den Platz stolperte. Oder dass das Mittelfeld mit dem wieder genesenen Rodolfo Cardoso über weite Strecken den Nachweis seiner Existenzberechtigung schuldig blieb. Oder, dass bloß Tony Yeboah hin und wieder Torgefährlichkeit erkennen ließ, ansonsten aber so viel Unterstützung erfuhr wie Erich Ribbeck während seiner Trainerschaft.
Angesichts der spielerischen Tristesse blieben die Wrestling-Duelle der Herren Hollerbach und Raven Jensen der einzige Höhepunkt eines bilateralen Nichtangriffspaktes, der die Strafräume zu Tabuzonen und die Langeweile zum Prinzip erklärte. Vergleichsweise atemlose Spannung bot erst die 63. Minute, als der gelernte Metzger Hollerbach nach einem eher körperbetonten Zweikampf am Boden liegen blieb und sich die einzig plausible Erklärung für solcherlei Weicheierei – der Exitus des robusten Franken – dankenswerterweise nicht bestätigte.
Dabei mag zur Rechtfertigung der Hamburger Passivität der Umstand herhalten, dass die Dänen offenbar selbst keine ernsthaften Ambitionen mehr hegten, die Champions-League-Qualifikation doch noch zu schaffen. Mochte Trainer Agen Harelde noch so sehr den Schiedsrichter schelten (sowohl die Rote Karte für Johansen als auch die Aberkennung des Treffers durch Graulund waren Fehlentscheidungen) – Kopenhagen spielte so wenig zwingend, dass nur die 1.500 stimmgewaltigen Bröndby-Fans wussten, warum sie ihrer Mannschaft mit Non-Stop-Sangeseinlagen huldigten.
Immerhin waren dann nach 95 Minuten tatsächlich die 90 Minuten vorbei. Und während die üblichen Verdächtigen den üblichen Verdächtigen mit unbewegter Miene Enthusiastisches („Traum in Erfüllung gegangen“, Hollerbach) in die Blöcke diktierten oder Geschichtsklitterung betrieben („alle für alle gekämpft“, Kovac), wurde dem HSV-Aufsichtsratsvorsitazenden Udo Bandow von einem skrupellosen Ordner verdeutlicht, dass man seine V.I.P.-Karte nicht im Auto lassen sollte, wenn man den Innenraum betreten will: „Fakt ist, dass hier keiner reinkommt, den ich nicht kenne.“ So mancher neutrale unter den 44.351 Zuschauern wäre im Nachhinein nicht traurig gewesen, wäre auch ihm der Eintritt verwehrt worden.
Hamburger SV: Butt - Hertzsch, Hoogma, Panadic - Groth, Kovac, Cardoso (85. Töfting), Hollerbach (73. Sandmann) - Präger (68. Mahdavikia), Yeboah, Heinz Bröndby IF: Krogh - Colding, Nielsen, Johansen, Skarbalius - Ravn (60. Jonson), Svensson, Jensen (60. Lindrup) - Bjur, Bagger (83. Foldgast), Graulund Zuschauer: 44.351; Rote Karte: Johanson (82./Notbremse)
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