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Hamburg auf dem Antiken-TripMythos unter dem Vulkan

Der antiken Stadt Pompeji, die auferstand aus Asche und Bimsstein, droht längst neuer Verfall – aber ihr Ruhm floriert. Eine Hamburger Ausstellung zeigt nun aber vor allem schöne Bilder

So aufgebaut, wie sie im 1. Jahrhundert n. Chr. als Wasserspeier dienten: Hunde greifen Wildschwein an Bild: Archäologisches Nationalmuseum Neapel

Die Antike bietet Stoff: für unzählige Romane, Filme oder auch Computerspiele. Im Materiellen ist die zugrunde liegende Realität nirgendwo so gut überprüfbar wie in den vom Vulkan konservierten Städten am Vesuv. Besonders die frühe römische Kaiserzeit ist dort in Architektur und Artefakten unvergleichlich rekonstruier- und erlebbar – und vor allem hat sich kaum irgendwo sonst derart viel herausragende Malerei erhalten.

Wenn das Bucerius Kunstforum, jener Lass-uns-in-der-Mittagspause-mal-kurz-Kunst-gucken-Tempel in der Hamburger Innenstadt, jetzt eine Ausstellung zu Pompeji präsentiert, so ist das vor allem eine Demonstration der Qualität der alt-römischen Dekorationsmalerei. Nicht auszudenken, wie gut darüber hinaus die antike Tafelmalerei gewesen sein muss, von der die Wissenschaft zwar Kenntnis hat, die aber nicht erhalten ist.

Katastrophe mit Ansage

Die griechisch-etruskisch-samnitische Siedlung Pompeji wurde Ende des 7. Jahrhunderts vor Christus gegründet, war seit 290 v. Chr. römischer Bündnispartner und seit 80 v. Chr. römische Kolonie. Als damals unerkannter Vorbote der nahenden Katastrophe wurde das prosperierende Landstädtchen 62 n. Chr. durch ein Erdbeben erschüttert. Noch ehe alles wieder aufgebaut war, wurde Pompeji im Jahr 79 vom Vesuv unter Asche und Bimsstein begraben – mitsamt vielen seiner etwa zehntausend Einwohner.

Eigentlich gibt es am Hamburger Rathausmarkt jetzt gleich zwei Ausstellungen: Der erste Stock ist ein reiner Bildersaal mit Fresken und Freskenfragmenten, die die traditionell in vier Malstile eingeteilte Malereigeschichte Pompejis gut belegen. Eines der Fragmente erscheint wie eine Spiegelung des heutigen Interesses an alten und fremden Kulturen: Ganz im Sinne der Ägyptomanie – wie sie im dritten pompejanischen Stil modern war – zeigt ein Figurenfries eine Sphinx und Lotusblätter, eine geflügelte Sonnenscheibe und ägyptisierende Figuren sowie Referenzen zum Isiskult.

Auf andere Art phantasieanregend sind auch die kaum lesbaren Kritzeleien, die sich auf den Beispielen des ersten pompejanischen Stils finden: In Latein und Griechisch stehen, unscheinbar eingeritzt in dem Marmormauerwerk imitierenden Putz, ausnehmend nicht jugendfreie sexuelle Deftigkeiten.

Der Hauptraum der Ausstellung ist in Anlehnung an den Grundriss einer pompejanischen Stadtvilla inszeniert. Zum ersten Mal überhaupt, seit die Ausgräber am Vesuv ab dem Barock Wandbilder, Architekturelemente wie Brunnenschalen oder Skulpturen in unterschiedlichen Zusammenhängen musealisiert haben, werden hier alle erhaltenen Funde eines einzigen Hauses wieder zusammen ausgestellt: Da sind goldene Fingerringe und ein kleiner Marmor-Altar neben der bronzenen Statue eines vermutlich seine Kithara spielenden Apoll – einst der Grund, das hier vorgestellte Architektur-Ensemble „Casa del Citarista“ zu nennen: Haus des Leier- oder Zither-Spielers.

Es fehlt – das Leben

Auch ein von Hunden bedrängter Eber, ein Löwe im Sprung und eine angriffslustig aufgerichtete Schlange sind wieder so aufgebaut, wie sie einst im offenen Hof als Wasser speiende Brunnenfiguren dienten. Und marmorne runde Schmuckscheiben – „oscilla“ – mit dionysischen Emblemen hängen hier wieder zwischen den Säulen.

Dabei wirken die alten, mosaikgezierten Säulen des Ausstellungshauses selbst so passend, als wären sie Teil der Installation. Vor allem aber sind auch hier Wandmalereien von Ideal-Landschaften bis zu metergroßen mythologischen Szenen zu sehen, die mit den durchkomponierten Figurengruppierungen und den fast impressionistisch locker gemalten Landschaftselementen zu den prächtigsten gehören, die je in Pompeji gefunden wurden.

Dass die mit den Objekten aus dem Nationalmuseum in Neapel nachgebaute Inszenierung trotzdem nicht lebensprall wirkt, liegt auch an der wissenschaftlichen Annahme, dass die zahlreichen Villenräume damals nur sparsam und flexibel möbliert waren. Doch es gab schon unmittelbar nach der antiken Katastrophe Versuche, Dinge zu neuem Gebrauch zurückzuholen, ebenso wurde später geplündert. Auch in der Neuzeit ging so manches verloren durch beiläufige Unachtsamkeit und durch gezielte Entwendung.

So ist auch diese Gewissheit einer reduzierten Einrichtung inzwischen relativ. Und was genau hält der große Apoll da eigentlich in den Händen? Manche sagen, die Statue könnte auch einfach bloß ein jugendlicher Lampenträger gewesen sein. Und warum ist das Haus einer mit Sicherheit ziemlich reichen Familie wie den Popidiern, denen es zugeschrieben wird, eigentlich derartig asymmetrisch, labyrinthisch?

War es wirklich eine alteingesessene Patrizierfamilie, die über Jahrhunderte ihr Haus erweiterte, bis es einem hellenistischen Palast mit drei säulengeschmückten Innenhöfen glich? Oder sind hier kurz vor dem Untergang Neureiche eingezogen, die einfach die Häuser ihrer Nachbarn aufkauften und verbanden?

Reizvolle Rezeption

Mit solchen Fragen beginnen die Spekulationen, beginnen die romanhaften Geschichten, beginnen die Mythen, deren Gegenstand nicht die schon damals fernen Erzählungen von der Auffindung Ariadnes oder der erotischen Begegnung von Mars und Venus sind – sondern Pompeji selbst. Aber diese reizvolle Interpretations- und Rezeptionsgeschichte ergäbe wieder eine andere Ausstellung.

Seit dem 18. Jahrhundert wieder freigelegt, begann das mit heute 501.000 Quadratmetern ausgegrabener Fläche größte archäologische Flächendenkmal Europas bald erneut zu verfallen. Zu diesem Prozess tragen heute nicht zuletzt etwa 2,5 Millionen Besucher jährlich bei, und nicht zuletzt aus politischen Gründen lässt er sich nur mit großer Mühe bremsen. Letzteres in der Ausstellung klar anzusprechen, statt nur im Katalog anzudeuten, verbot wohl die Höflichkeit gegenüber den Autoritäten Süd-Italiens.

Doch sind Ausstellungen wie diese auf jeden Fall eine Hilfe. Nicht nur, weil sie Interesse wecken. Sondern auch ganz direkt: Ein Teil des Ausstellungsgutes wurde eigens mit Mitteln der Zeit-Stiftung restauriert; für diese war es bereits das dritte Engagement für antike Malerei aus Italien.

Weitergehende Fragen kann das Rahmenprogramm beantworten: Am 17. November kommt Massimo Osanna nach Hamburg, seit März oberster Denkmalpfleger und Superintendent von Pompeji. Sein erstmals in Deutschland – und auf Deutsch – gehaltener Vortrag „Weltkulturerbe in Gefahr. Neue Strategien zur Rettung Pompejis“ wird die aktuellen Probleme sicher ansprechen.

„Pompeji. Götter, Mythen, Menschen“: bis 11. Januar 2015, Hamburg, Bucerius Kunst Forum

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