: Hallenser Stasi-Listen beschäftigen das Gericht
■ Gauck-Recherchen bestätigen IM-Registrierung auch in den Fällen, in denen die Genannten gegen ihre Veröffentlichung juristisch vorgegangen waren
Berlin (taz) – Der Streit um die Offenlegung von rund 5.000 Namen von Inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi in Halle Mitte letzten Jahres beschäftigt mittlerweile das Kreisgericht der Saalestadt. Unbekannte hatten im Juli rund 30 Exemplare einer „Liste der fünftausend“ an Behörden und Medien verschickt, in der die in der Bezirksverwaltung Halle registrierten IM aufgeführt waren. Die Bild- Zeitung schlug daraufhin zu – sie funktionierte ihre Hallenser Redaktion zum „Beichtstuhl Bild“ um, indem sie aus der Liste eine Reihe prominenter Fälle herauszog. Die Betroffenen wurden damit konfrontiert, daß sie auf der Liste genannt wurden, Fotos und Tränen inklusive. Per Telefon durften dann die Leser entscheiden: schuldig oder nicht schuldig.
Die BürgerrechtlerInnen aus den Reihen des Neuen Forums durchkreuzten empört die Veröffentlichungsstrategie des Boulevardblattes, indem sie die komplette Liste in ihren Räumen auslegten. Bild revanchierte sich wiederum und druckte in der Folge alle Namen in ihrer Regionalausgabe (Auflage bis zu 195.000) ab. 19 der Genannten fühlten sich zu Unrecht durch die Veröffentlichung als IM beschuldigt. Sie zogen vor Gericht und erwirkten zum „Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte“ um die Monatswende Juli/ August einstweilige Verfügungen. Die Klagen richteten sich nicht gegen Bild, sondern gegen das Neue Forum. Darin wurde dem Neuen Forum untersagt, die Namen weiter auszulegen. Diese Datensätze mußten geschwärzt werden. Weil sich unter den rund 5.000 Genannten noch kein Fall gefunden hat, in dem die behauptete IM-Registrierung nicht stimmte, strebte das Neue Forum an, den Streit vor Gericht konsequent auszufechten. Die BürgerrechtlerInnen wollten verhindern, daß sich einzelne durch eine simple eidesstattliche Erklärung, wonach sie nicht für die Stasi gearbeitet hätten, aus der Äffäre ziehen konnten, während die anderen Fälle in aller Öffentlichkeit erörtert wurden. Sieben der 19 Kläger zogen daraufhin ihre Klagen zurück. Die verbleibenden zwölf Fälle werden nun nach und nach vor dem Kreisgericht in Halle verhandelt.
Nachdem die Mitarbeiter des Neuen Forums im Zusammenhang mit der Listenveröffentlichung wiederholt beschuldigt wurden, Unschuldige als Spitzel des Stasi denunziert zu haben, wandte sich der Bürgerrechtler Frank Eigenfeld an die Außenstelle der Gauck- Behörde in Halle. Er beantragte ebenso zum Schutz seiner Persönlichkeitsrechte – damit er nicht weiterhin als Lügner abgestempelt wird – Einsicht in die Stasi-Akten der Kläger. Das Ergebnis der Gauck-Recherchen sollte dann den Gerichten zugeleitet werden. Im Ergebnis zeigte sich nun, daß die Kläger zu Recht auf der Liste der registrierten IM aufgeführt waren – die Gauck-Behörde wurde in ihrem Archiv fündig. Ein für Donnerstag letzter Woche erwartetes erstes Urteil wegen der Listenauslegung ist verschoben worden, nachdem dem Gericht von den Anwälten der Bürgerrechtler die Gauck-Unterlagen zugeleitet wurden. Dies macht nach Maßgabe des Gerichtes eine Fortsetzung des Prozesses nötig. Am 5. Mai soll nun eine erste mündliche Verhandlung vor der 5.Zivilkammer des Landgerichts Halle stattfinden. Für den Bürgerrechtler Eigenfeld hat der Prozeß damit eine „neue Dimension“ erreicht. Wo bisher nur formal über die Persönlichkeitsrechte der Kläger verhandelt wurde, wird es jetzt zu einer regelrechten Beweisaufnahme kommen. Zum ersten Mal müsse sich damit einer der Kläger öffentlich seiner Vergangenheit stellen. Wolfgang Gast
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