piwik no script img

Halbes Parlament setzt Babić ab

■ Noch immer entzweit die geplante Entsendung von UNO-Truppen die Krajina-Serben/ Widersprüchliche Zahlen über die Anwesenheit von Abgeordneten bei angeblicher Abwahl der ganzen Regierung

Belgrad (ap/taz) — Wieder einmal ist es im Parlament der selbstproklamierten Republik Krajina zu einer aufsehenerregenden Aktion der Abgeordneten gekommen. Milan Babić, letzter Gegner der Stationierung von UNO-Friedenstruppen in Kroatien, ist seit Sonntag abend nicht mehr im Amt. Das zumindest verkündete gestern die Belgrader Nachrichtenagentur 'Tanjug‘. Der Führer der Krajina-Serben, so hieß es weiter, sei vom Parlament in Glina mehrheitlich abgewählt worden.

Die unterschiedlich dargestellten Fakten: 74 Abgeordnete von insgesamt 161 hatten nach Informationen von 'Tanjug‘ bei einer Sondersitzung für Babićs Entmachtung, 8 dagegen gestimmt. 3 der 85 Anwesenden enthielten sich der Stimme. Doch damit nicht genug. Auch die gesamte Regierung von Babić, so die Nachrichtenagentur, sei ab sofort ohne Funktion. Babić dagegen behauptete gestern in einem Brief an UNO-Generalsekretär Butros Ghali, nur 47 Abgeordnete seien bei der Sitzung erschienen, zuwenig für die erforderliche Zweidrittelmehrheit.

Doch selbst wenn die Zahlen von 'Tanjug‘ korrekt sind: knapp die Hälfte der insgesamt 161 Abgeordneten und der radikale Serbenführer selbst blieben der Parlamentsabstimmung fern. Zumindest ein Indiz dafür, daß die Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft des Landes quer durch die Reihen der Politiker gehen. Babić selbst erkennt die Absetzung, wie er in den Montagszeitungen verkündete, nicht an. Auch sein enger Vertrauter, Informationsminister Lazar Macura, hält die Abstimmung für „rechtswidrig“ und ein „von Belgrad manipuliertes Spiel“. Dennoch — die Frage, ob Babić wegen seines Widerstandes gegen die Stationierung von UNO- Blauhelmen wirklich allein dasteht, muß neu gestellt werden.

Noch am 9. Februar schien die Sache eindeutig. Damals hatte eine von serbischen Spitzenpolitikern besuchte Sondersitzung des Parlaments in Glina gegen seinen ausdrücklichen Willen dem UNO-Friedensplan zugestimmt. Babić hatte diese Entscheidung als von Belgrad manipuliert zurückgewiesen. In Knin beschloß das Parlament daraufhin am vergangenen Montag ein Referendum über die UNO-Truppen für das kommende Wochenende. Das ist seit Sonntag allerdings ebenfalls per Beschluß gestrichen.

Während der Streit zwischen den Krajina-Serben noch lange nicht zu Ende ist, gibt sich der stellvertretende UNO-Generalsekretär Marrack Goulding optimistisch. Auch an diesem Wochenende versuchte er unverdrossen die letzten Hindernisse für die Entsendung von UNO-Friedenstruppen nach Jugoslawien auszuräumen. Nach Informationen der Belgrader Tageszeitung 'Borba‘ kamm es in New York sogar zu einem Treffen mit Vertretern der Krajina-Serben. Dem Bericht zufolge ging es darum, wie die Vorbehalte der Krajina-Regierung gegen den Friedensplan überwunden werden können.

Gewalttaten von Serben und Kroaten aufgedeckt

Die US-Menschenrechtsgruppe „Helsinki Watch“ hat in Schreiben an die Präsidenten Kroatiens und Serbiens, Franjo Tudjman und Slobodan Milosević, gegen die Verletzung von Kriegsgesetzen und Menschenrechten sowie Hinrichtungen protestiert. Mehr als 200 Zivilisten und nicht bewaffnete kroatische Soldaten, so „Helsinki Watch“, seien von serbischen und jugoslawischen Einheiten an die Wand gestellt worden. Außerdem fordert die Organisation „Untersuchungen“ und „Erklärungen“ für insgesamt 14 Fälle von Gewalttaten paramilitärischer serbischer Einheiten und von Offizieren der Bundesarmee. 3.000 ehemalige Bewohner von Vukovar gelten nach Auskunft der Sprecherin von „Helsinki Watch“, Jeri Laber, noch immer als vermißt.

Doch auch auf der Gegenseite sind Greueltaten an der Tagesordnung. „Helsinki Watch“ hat Beweise für Hinrichtungen von Zivilisten und entwaffneten Soldaten, für Folter und Mißhandlungen von Gefangenen, für willkürliche Festnahmen und für die Verschleppung von Personen seitens der kroatischen Truppen. bz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen