■ Haiti: Die letzten UNO-Blauhelme verlassen ein chaotisches Land: Das falsche Signal
Seit dem Ende der Militärjunta des Generals Cedras und der Rückkehr des demokratisch gewählten Präsidenten Aristide im Herbst 1994 macht Haiti international keine Schlagzeilen mehr. Das heißt nicht, daß die Krise beigelegt ist, welche die internationale Gemeinschaft unter Führung der USA zum Eingreifen bewog – im Gegenteil. Sie schwelt untergründig weiter, und die Lage auf Haiti ist so unstabil wie zuvor. Zwar gibt es keine politischen Morde mehr, und die durch ihre Todesschwadronen und Putschversuche diskreditierte Armee wurde von Aristide ersatzlos aufgelöst. Doch neben der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Kuba ist dies die einzige positive Nachricht aus Haiti.
Auf den Straßen von Port-au-Prince eskaliert anstelle der politischen die kriminelle Gewalt, und die neu geschaffene zivile Polizei ist ähnlich brutal und korrupt wie die frühere Armee. Die nur äußerlich erfolgreiche Demokratisierung hat die materielle Not nicht gelindert, sondern das soziale Elend verschlimmert. Die durch das jahrelange Handelsembargo gestiegenen Preise haben sich auf höchstem Niveau eingependelt, und Grundnahrungsmittel sind für die Bevölkerungsmehrheit unbezahlbar geworden. Haitis Arme haben die letzte Hoffnung verloren, die sich in dem charismatischen Befreiungstheologen Aristide verkörperte. Der frühere Armenpriester residiert heute in einer Luxusvilla, die ihm den Spitznamen „Duc de Tabarre“ (Herzog von Tarbarre) eingetragen hat, und destabilisiert Haitis ohnehin schwache Demokratie, indem er seinen ehemaligen Ministerpräsidenten und unpopulären Nachfolger René Preval im Regen stehenläßt, um sein eigenes Comeback vorzubereiten.
Bei allem Verständnis dafür, daß UNO-Einsätze Geld kosten und nicht endlos ausgedehnt werden können: Der Abzug der Blauhelme, deren eher symbolische als militärische Präsenz Haiti vorübergehend befriedet hat, ist das falsche Signal. Er bedeutet eine Verschärfung des Machtkampfs, der Aristides Graswurzelbewegung Lavalas in zwei feindliche Lager gespalten hat, die einander erbittert bekämpfen.
Lachende Dritte sind nicht nur die Anhänger der Duvalier-Diktatur und deren „Attaches“, die ihre Waffen versteckt haben und im Untergrund eine fünfte Kolonne aufbauen. Auch Haitis Superreiche, die keine Steuern zahlen und mit Demokratie nichts im Sinn haben, profitieren davon. So ändert auch der Verbleib eines kleinen US-Truppenkontingents nichts daran, daß Haiti unruhigen Zeiten entgegengeht. Hans Christoph Buch
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