piwik no script img

Haftzustände-betr.: "Bislang keien Besserung im Kanst unter Rot-Grün", taz vom 12.5.89

Betr.: „Bislang keine Besserung im Knast unter Rot-Grün“, taz vom 12.5.89

Es sind nicht nur die Forderungen der Frauen, die auf den Nägeln brennen... Vergleicht man die Zustände mit denen in der U- und Sicherheitsanstalt Berlin-Moabit, ist die Beton -Plötze ein Sanatorium. (...)

In den verflossenen fünf Jahren mußte ich miterleben, wie Dutzende rund um die Uhr brutal eingekerkerte Menschen hier in Moabit (Teilkerker I vornehmlich!) an den Folgen von Suizidhandlungen verstarben. Die unzähligen Suizidversuche finden dabei keine Berücksichtigung. (...)

Einen sehr kurz gefaßten Katalog der signifikanten gröbsten Mißstände in Berlin-Moabit gebe ich bekannt:

-Völlig veraltete Bausubstanz - der Käfigstandard ist als katastrophal und mittelalterlich zu bezeichnen. In sogenannten Notgemeinschaften werden zwei Menschen in einem kleinen Haftraum auf einer verbleibenden Bodenfläche von ca. vier Quadratmetern zusammengepfercht.

-Es fehlen: Netzsteckdosen, innenliegende Lichtschalter, große Fenster, Anschlüsse für Gemeinschaftsantennen und und und.

-In den Teilkerkern I und II ist das StVollzG nahezu vollständig außer Kraft gesetzt. Es werden Strafgefangene über unzählige Monate und Jahre fast wie in alten Zuchthauszeiten kaputt verwahrt. Es gibt keine ernsthaften Behandlungsangebote (2/3-, 1/2-Strafe, offener Vollzug, Urlaube...)

-Für die gesamte JVA Moabit steht nur ein weit unterdimensioniertes Sprechzentrum zur Verfügung. Hier müssen aus sage und schreibe vier Teilbereichen Sprechbesuche abgehalten werden - in drangvoller Enge und in einem unglaublichen menschlichen Klima. Offiziell herrscht Berührungsverbot!

-Die Warenpalette des Gefangeneneinkaufs ist derartig eng ausgelegt, daß eine Vielzahl trivialer Produkte dem Gekerkerten versagt bleibt.

-Es gibt keine Telefonzelle für Strafgefangene, so daß in Verbindung mit der grausigen Besuchsregelung eine zerstörende Isolation der Familien eintritt.

-Die sogenannten Sozialarbeiter (TA I und II) sind stets so überlastet, daß sie für nichts Wichtiges zuständig sind.

-Suizidgefährdeten Menschen werden absolut keine Hilfsangebote dergestalt unterbreitet, daß ein Schutz des Menschenlebens anzunehmen ist. Im Gegenteil. An die Kerkertüre wird ein roter Punkt geheftet, und der lebensgefährdete Mensch muß die schwere Störung seiner Nachtruhe durch Lichteinwirkung hinnehmen.

-Der Kerkerungsanspruch rangiert insbesondere hier weit vor dem Menschenleben. Es werden lieber Tote in Kauf genommen als Haftlockerungen zugestanden.

(...) Es ist für Gefangene sehr schwer, einen Protest von hier aus zu organisieren, weil man rund um die Uhr eingekerkert ist. Es werden kaum Außenkontakte (außer schriftlich) gestattet. (...)

Es gibt zur Zeit eine neue politische Konstellation. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich dieser Senat solche zum Teil mörderischen Haftzustände weiter, ohne Gesichtsverlust, mitansehen darf.

AT., Berlin-Moabit

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen