: Haftverschonung selbst gewährt
■ Häftling floh aus Strafanstalt Lingen / Aus seinem Versteck bereitet er die Wiederaufnahme seines Verfahrens vor / Tatvorwurf: Urkundenfälschung an einem Auto
Wer unschuldig ist, soll nicht im Gefängnis sitzen. Wolfgang Wollnitz, ein 37jähriger Erwerbsloser aus Hude, wollte nicht warten, bis ihm die niedersächsische Justiz seine Schuldlosigkeit endlich bestätigt. Schon nach wenigen Tagen entfernte er sich aus der Strafanstalt Lingen. Von einem Besuch beim Masseur kam er einfach nicht zurück. Jetzt sitzt er in einem Versteck und kämpft von dort aus für die Wiederaufnahme seines Verfahrens. Die taz ließ er wissen, wie.
In die Fänge der Justiz geriet Wolfgang W. durch das Geständnis eines alten Bekannten. Michael K. wurde 1985 bei einem Einbruch von der Polizei erwischt, und legte kurz darauf ein „Lebensgeständnis“ ab, in dem er mehr als 200 Straftaten gestand. Unter anderem bezichtigte er sich der „Urkundenfälschung“, begangen nicht an Dokumenten mit Tinte und Stempel, sondern an einem gestohlenem VW Golf mit Bohrmaschiene und Schweißbrenner. Laut Geständnis hat K. sich einen schrottreifen Golf für 500 Mark gekauft und sich wenige Tage danach ein neues Auto gleichen Typs gestohlen. In Wolfgang W's Garage in Oldenburg hätten er und Wolfgang W. die Fahrgestellnummern der beiden
Autos ausgetauscht.
In seiner Garage vielleicht, räumte Wolfgang W. ein, aber er sei nicht dabei gewesen. Denn auch Bekannte hätten einen Schlüssel gehabt. Doch Michael K., der Belastungszeuge, blieb bei seiner Aussage. Wolfgang W. wurde zu einem halben Jahr Knast verurteilt und ging in die Berufung.
Vor dem Landgericht ließ sich Michael K. anders ein: Ob Wolfgang W. bei dem Auswechseln der Fahrgestellnummern dabei war, wisse er nicht mehr genau. Doch das Oldenburger Landgericht glaubte K.s früheren Aussagen mehr als seinen neuesten und bestätigte das Urteil.
Doch noch brauchte er seine Strafe nicht anzutreten, noch stand die Revision beim Oberlandesgericht aus. Da kam eine weitere Entlastungsaussage per Post aus der Hamburger Strafanstalt Fuhlsbüttel. Unter den Männern, die Michael K's Lebensgeständnis hinter Gitter gebracht hat, ist nämlich auch ein Alex W., der wegen mehrerer Tresor-Aufbrüche dort 10 Jahre zu verbüßen hat. In seinem Brief an die Staatsanwaltschaft bezichtigte sich Alex W. nun, zusammen mit Michael K. die „Urkundenfälschung“ an K's Golf begangen zu haben.
Wolfgang W., der Besitzer der Garage, habe davon nichts wissen dürfen, weil er das sonst nicht erlaubt hätte. Deshalb habe er abgewartet, bis Wolfgang W. für mehre Tage verreist sei. Bisher habe er davon nichts gesagt, um sich nicht selbst zu belasten, erklärte Alex W. sein langes Schweigen.
Für das Revisionsverfahren spielen Tatsachen keine Rolle, sondern nur juristische Finessen. So mußte Wolfgang W. trotz der Hilfe aus Santa Fu im September seine Strafe antreten. Seinen ersten Hafturlaub benutzte er für ausführliche Gespräche mit seinem Bruder und mit seiner Schwägerin. Mit seiner Mutter nahm er per Post Verbindung auf. Die Verwandten bestätigten ihm, daß er zu der vermutlichen Tatzeit zum Familientreffen in Stuttgart gewesen sei.
Inzwischen hat Wolfgang W.s Anwalt die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Noch in dieser Woche soll die Entscheidung fallen. Wird der Prozeß nochmal von vorne aufgerollt? Wolfgang W. sitzt derweil in seinem Versteck und horcht auf jedes Geräusch: „Das geht mehr an die Nerven als Gefängnishaft“.
mw
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