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„Hätten Sie etwas Zeit?“

■ Auch der „Spiegel“ bedient sich der Drückerkolonnen / In Bremen aufgeflogen

„Hätten Sie vielleicht etwas Zeit? Ich mache eine Umfrage über Vorurteile gegen ehemalige Drogensüchtige...“ So oder ähnlich beginnen die Gespräche von Mitarbeitern sogenannter „Drückerkolonnen“, die immer wieder durch die Stadt ziehen. Momentan ist erneut eine Vertriebsgesellschaft aus Dortmund in Bremen unterwegs. Die „Drücker“ geben sich als StudentInnen, ehemalige Drogensüchtige oder Strafgefangene aus und versuchen nach solchen fingierten Umfragen letztlich Zeitschriften-Abonnements zu verkaufen.

So geschah es Anna Schierse in der Bremer Neustadt vor einigen Wochen. Obwohl sie bereits einmal vor zwei Jahren angesprochen wurde, ließ sie sich erneut von dem jungen Mann ködern, der vor ihrer Haustür stand. „Eigentlich hätte ich sofort mißtrauisch werden müssen“, ärgert sie sich, „aber er hat nur geredet, geredet, geredet. Er appellierte so überzeugend an mein Sozialgefühl, daß ich ihm im ersten Moment geglaubt habe, er finanziere damit seine Ausbildung als Altenpfleger.“ Kaum stand ihre Unterschrift unter dem Spiegel-Abo, bereute sie es bereits. „Dem jungen Mann ging es bestimmt tatsächlich nicht gut, sonst würde er so etwas nicht machen. Aber ich wußte, daß ich eigentlich nur die Vetriebsgesellschaft unterstütze. Das Schlimmste war für mich, mal wieder angelogen worden zu sein.“

Die „Drücker“ werden regelrecht gedrillt, mit einstudierten Texten und zahlreichen Tricks gutmütige BürgerInnen um den Finger zu wickeln. Dafür werden sie erheblich unter Druck gesetzt: Nicht selten schulden sie dem Werbeverein, bei dem sie angestellt sind, Geld für Unterkunft und Essen auf ihren „Rundreisen“ durch Deutschland, welches sie durch den Verkauf von Abos wieder verdienen müssen. Daß sie damit ihre Ausbildung oder ihr Studium finanzieren, ist ein fadenscheiniges Argument: Bei einem 7-Tage-Job ist ein Studium nicht möglich.

Der beste Schutz vor solchen Betrügereien sei es, die „Drücker“ gar nicht erst in die Wohnung zu lassen, betont die Kriminalpolizei Bremen. Ansonsten verweist sie auf die Gewerbeordnung: Auf alle Fälle sollten sich Betroffene den Ausweis der Vertriebsfirma zeigen lassen. Aber dieser Ausweis kann leicht nachgemacht werden. Noch wichtiger: der Gewerbeschein, ohne den diese Geschäfte an der Tür nicht zulässig sind. Wenn man es nicht einfach grundsätzlich ablehnen will, sich an der Haustür etwas aufschwatzen zu lassen.

Anna Schierse kündigte den Vertrag noch am gleichen Tag per Einschreiben. Sie hatte Glück. Ihre Kündigung wurde ohne Probleme anerkannt. Schwieriger wird es, wenn der Vorfall erst einmal verdrängt wird. „In den Verträgen ist oft vereinbart, daß die erste Lieferung nach acht Wochen erfolgt“, so die Kripo. „Bis dahin ist aber die Widerspruchsfrist von einer Woche überschritten. Oder der Vertrag wird vordatiert, so daß das Rücktrittsrecht bereits verwirkt ist, wenn der Vetrag unterschrieben wird.“

Wenn der/die WerberIn scheinbar erfolgreich abgewimmelt werden konnte, droht ein weiterer Trick: Sie bitten um eine Unterschrift zur Bestätigung, daß sie in diesem Haushalt gewesen sind. Unter dem Papier liegt manchmal ein Abo-Vertrag, der per Durchschrift doch noch unterzeichnet wird. In diesem Fall hilft nur noch eine Anzeige wegen Betruges bei der Kriminalpolizei. Die Chancen, schließlich vorzeitig aus dem Vertrag ausscheiden zu können, sind jedoch gering.

Anna Schierse wählte einen Weg, der auf die Dauer erheblich erfolgreicher sein könnte als die Hinweise der Polizei: Sie schrieb nach diesem Vorfall die von ihr „abonnierten“ Zeitschriften direkt an. Sie zeigte sich enttäuscht, „daß Sie als Herausgeber einer seriösen Zeitschrift die Dienste einer Vertriebsagentur in Anspruch nehmen, die mit solch unanständigen Methoden arbeitet.“ Der „Spiegel“ antwortete ihr, daß der Vorfall an einen eingetragenen Verein zur Abonnements-Überwachung weitergeleitet worden sei. Zur Auflösung der Geschäftsverbindung mit den „Drückerkolonnen“ scheint das Nachrichten-Magazin noch nicht bereit zu sein. Birgit Köhler

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