: Hätte jede andere Frau sein können
■ Versuchte Vergewaltigung / 23jähriger Familienvater zu einjähriger Bewährungsstrafe verurteilt / Opfer war 46jährige Frau, die abends auf der Straße Telefongeld wechseln wollte
Zufällig war es die 46jährige Hildegard G., die im vergangen Jahr an einer Bremer Straßenecke mit dem 22jährigen Frank S. zusammentraf. „Es hätte auch jede anderere Frau sein können. Die Person spielte keine Rolle“, erfuhr gestern Richter Schulz von dem jungen Mann auf der Anklagebank. Hildegard G. hatte den vertrauenerweckenden Passanten am Abend des 24. Mai 1987 um Telefongroschen angesprochen. Frank S. kam leicht angetrunken von einer Feier, war auf dem Heimweg zu seiner damals 17jährigen Verlobten und dem gemeinsamen Kind. Er kramte hilfsbereit in seinem Portemonnaie. „Dann hab ich mir gedacht“, schildert er den weiteren Ablauf der Begegnung vor Gericht, „vielleicht möchte sie gerne mit mir schlafen und hab's versucht“.
Dieser Versuch, den er auch eingesteht, sah für Hildegard G. folgendermaßen aus: Er drückte sie plötzlich „mit voller Gewalt“ an sich. Sie spürte sein erregtes Glied und kriegte Angst. Sie versuchte zu fliehen, er hielt sie fest und riß ihr den Gürtel der Jacke herunter. Sie schrie um Hilfe, er
ließ von ihr ab und entfernte sich. Hildegard G. fürchtete sich, durch den dunklen Hauseingang in ihre Wohnung zu gehen und blieb auf der erleuchteten Straße. Nach ein bis zwei Minuten bemerkte sie mit Entsetzen, daß Frank S. von hinten angerannt kam und sie so fest packte, daß ihre Bluse zerriß. „Ich hatte panische Angst um mein Leben.“ Sie rief erneut um Hilfe, ein Autofahrer wurde aufmerksam, Frank S. ergriff endgültig die Flucht.
Vergeblich stellt Richter Günther Schulz dem Angeklagten nähere Fragen nach den Beweggründen: „Wie kamen sie auf den Gedanken? “ Doch Frank S. bleibt einsilbig: „Alles was hinter mir liegt, laß ich fallen.“
Sein Rechtsanwalt Henning Schmidt versucht Frank S. eine Brücke von Mann zu Mann zu bauen: „Könnte es sein, daß die Frage nach Kleingeld sie animiert hat?“ Der Angeklagte verneint. Sein Anwalt plädiert dafür, seinem Mandanten wenn schon nicht das „Animiert-Werden“, dann doch eine sexuelle „Aufladung“ zu Gute zu halten, schließlich habe sein Mandant monatelang
nicht mit seiner Verlobten geschlafen. Der Anwalt plädiert auf Freispruch, aus dem „mageren Sachverhalt“, einem erzwungenen Kuß und einem festen Aneinanderpressen der Körper, könnte man nicht ableiten, daß der Angeklagte auf eine Vergewaltigung aus gewesen sei. Das Gericht, dem neben dem Richter ausnahmsweise gleich zwei Schöffinnen angehören, folgt jedoch dem Plädoyer des Sonder-Staatsanwaltes Hans -Henning Hoff und hält am Straftatbestand „versuchte Vergewaltigung“ fest. Die einjährige Gefängnisstrafe wird für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte, der sich auf dem Gerichtsflur bei dem Opfer entschuldigt hat, muß auf Raten 1.000 Mark an das Bremer Frauenhaus überweisen.
Und den Bremerinnen, die abends Kleingeld brauchen, bleibt die Hoffnung, daß Anwalt Henning Schmidt ein geregeltes Sexualleben führt und nicht - seiner eigenen Theorie zufolge - aufgrund eines monatelangen „Aufladens“ eine von ihnen urplötzlich an einer Straßenecke anfällt.
Barbara Debus
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