normalzeit: Haarsträubend
Schwierige VP
An Verschwörungstheorien ist kein Mangel, Sorge bereiten aber die Verschwörungspraktiker (VP) – jedenfalls all denen, die beruflich mit „Investigationen“ beschäftigt sind, denn die VP sind „schwierige Informanten“. Deswegen hielt man zum Beispiel den Auftrag des brandenburgischen Exministers Wolf, seine Frau ermorden zu lassen, lange Zeit für „Quatsch“. Zumal in den Redaktionen fast täglich Berichte über solche haarsträubenden Sauereien eintrudeln. Die Schönsten sortiere ich in meine Querulantenmappe ein. Mal wird darin ein Arbeitsamtschef faktenmäßig zur Strecke gebracht – mit intimsten Details. Mal ein Prominenter aus Mainz minutiös mit Nichtigkeiten malträtiert. Ich besitze ganze Grafiken vom Verschwörungsnetzwerk des Braunschweiger Kapitals und seiner Politiker sowie über die „ganze Wahrheit des ICE-Unglücks“. Meistens handelt es sich dabei um „offene Briefe“. Und weil der Schreiber vor lauter Anschuldigungswut und -logik überschäumte, landen solche Texte in der taz meist beim „Wahrheit“-Redakteur. Dieser lagert sie in seinem Leserbriefordner end.
Viele dieser VP sind so verstrickt in ihren Fall, der nicht selten ihr eigener ist, dass sie quasi atemlos nurmehr Stichworte auf kleinen Zetteln an die Presse schicken: mit Unterstreichungen, Querverweisen und mehrfarbigen Durchnumerierungen, die sich so kaum abheften lassen. Zudem scheint ihre mehrfach zusammengefaltete Ordnung im Briefumschlag irgendwie bedeutsam zu sein. Und dann handelt es sich auch noch oft um schreibungewohnte Leute – aus dem Nahkampf-, Prostitutions- und überhaupt eher körperlich denn geistig tätigen Randgruppenmilieu, das von den meist gymnasial geschulten Redakteuren instinktiv eher gemieden wird, was dem Anliegen der VP auch nicht gerade förderlich ist.
Eine der wenigen, die dauernd solche harten Geschichten erleben und erzählen, ist die taz-Autorin Lilli Brand, wie ja überhaupt die Kunst der Redaktionsleitung darin besteht, immer neue gesellschaftlich vorwärtsdrängende Periphere zur Bearbeitung freizugeben – oder gleich als Redakteure zu gewinnen.
Dennoch stieß auf Desinteresse, was ein Sondereinheitenausbilder dem ehemaligen sächsischen Innenminister öffentlich mitteilte: „Nachdem zahlreiche Killer (ca. 50) erfolglos waren, beschloss Dr. Schmidt seine Taktik zu ändern; er sagte zu Kubatzki, möglicherweise müssen wir monatelang hinter ihm herlaufen . . .“ Aber auch „Lochte war absolut nicht bereit, sich bestechen zu lassen . . .“ „Thiemann heuerte daraufhin Killer per Zeitungsannonce an. Darauf bot ich mich im Abendblatt als Killer an . . . Und konnte dadurch den Namen von Thiemann herausfinden sowie seine Beziehung zu Piening. Ich sprach sogar mit dem Sohn von Piening und dieser bestätigte den Kontakt zu Kubatzki . . . Das MEK wurde informiert und ermittelte erfolgreich gegen Klemm . . . Hardrat ist genau darüber informiert und dazu muss er irgendwann öffentlich Stellung nehmen“ usw. Sätze voller Klarheit – dennoch so dunkel wie die Seele von Raskolnikow. Unsere Redakteure lieben es eher andersrum. HELMUT HÖGE
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