Haarproben mit Kokain und Heroin: Kinder unter Drogen
Bremer Süchtige verabreichten ihren Kindern Rauschmittel. 14 von 15 Tests waren positiv. Über Konsequenzen soll erst nach weiteren Untersuchungen entschieden werden.
BREMEN taz/dpa | In Haaren von Kindern süchtiger Eltern in Methadontherapie sind Spuren illegaler Drogen oder Beruhigungsmittel gefunden worden. Es bestehe der Verdacht, dass die Eltern ihren Kindern möglicherweise bewusst Drogen wie Kokain, Heroin oder Beruhigungsmittel gegeben haben, sagte die Sprecherin des Bremer Sozial- und Gesundheitsressorts, Petra Kodré, am Freitag.
Bei 14 von 15 in den vergangenen Monaten untersuchten Kindern wurde in Haarproben Drogen gefunden, die Minderjährigen wurden aus den Familien genommen. Die Zahl sei alarmierend, sagte Kodré. Erste Fälle waren bereits im vergangenen Herbst bekannt geworden.
"Bei vielen liegt der Verdacht nah, dass die Drogen vorsätzlich gegeben wurden, etwa um die Kinder ruhigzustellen", sagte Kodré. Nun sollen weitere 30 Kinder im Alter von ein bis drei Jahren und deren Geschwister untersucht werden. Kleinkinder seien besonders gefährdet, da Eltern möglicherweise mit ihnen überfordert seien und sie ruhigstellen könnten.
Die Analysen werden von zwei Laboren unabhängig voneinander vorgenommen. Mit dem Ergebnis werde in rund vier Wochen gerechnet. Eine solche systematische Überprüfung habe es bislang noch nicht gegeben, so die Sozialbehörde.
Sollte sie zu einem ähnlichen Resultat kommen wie bei den ersten 15 Proben, würde dies bundesweit die Drogentherapie "auf den Kopf stellen", so Kodré.
Bislang seien die Behörden davon ausgegangen, dass Eltern in der Methadon-Therapie - abgesehen vom ärztlich kontrollierten Gebrauch der Ersatzdroge - drogenfrei seien. Süchtige Eltern, die ihre Kinder bei sich behalten wollten, müssten sich dazu schriftlich verpflichten.
Kontrolliert werde dies auch durch Sozialarbeiter und Familienhebammen. Zudem müssten die Eltern einer Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht zustimmen. In Bremen leben nach Behördenangaben zurzeit rund 90 Kinder bei Eltern, die eine Drogentherapie unter ärztlicher Aufsicht machen.
Scharfe Kritik kam von der Opposition: "Leider ist das Ausmaß keine Überraschung", sagte CDU-Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann. Die Probleme seien nicht ernst genommen worden, das Hilfesystem funktioniere nicht.
Die bestehenden Maßnahmen müssten so entwickelt werden, dass der Drogenmissbrauch nicht erst auffalle, wenn Kinder bereits abhängig oder Hirnschäden erkennbar seien.
"Die Sicherung des Kindeswohls scheitert in Bremen nicht am Geld, sondern an der Wirkungslosigkeit der bestehenden Maßnahmen." SPD-Gesundheitssenatorin Ingelore Rosenkötter müsse nun für "eine rückhaltlose Aufklärung" der Fälle sorgen.
Die Kassenärztliche Vereinigung Bremen (KVHB) erklärte, zu dem "Skandal" hätte es nicht kommen müssen. Ihre Substitutions-Kommission weise seit Langem auf Risiken hin.
"Wir müssen leider feststellen, dass die zuständigen Stellen die Hinweise der Experten seit mindestens vier Jahren auf die leichte Schulter nehmen", sagte der stellvertretende KVHB-Vorsitzende Günter Scherer.
Ihm seien beispielsweise sechs Fälle bekannt, in denen Eltern neben Methadon weitere Rauschgifte zu sich genommen hätten.
Gegen diese Vorwürfe wiederum wehrt sich jetzt der Bremer Gesundheitsstaatsrat Hermann Schulte-Sasse heftig: Die Behauptung der KVHB, das Sozialressort habe Hinweise nicht ernst genommen, "entbehrt jeglicher Grundlage und geht völlig an der Realität vorbei". Nur in einem einzigen der Fälle habe es einen fachlichen Disput zwischen Jugendamt und der KVHB gegeben.
Dass die Ärztevereinigung gleichwohl behaupte, das Sozialressort würde die Hinweise auf die leichte Schulter nehmen, "nährt den Verdacht, dass hier jemand von eigenem Versagen ablenken will", so Schulte-Sasse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren