: Haarfeine Störungen
■ Rosemarie Trockels Papierarbeiten im Neuen Berliner Kunstverein
Von der Kölner Künstlerin Rosemarie Trockel, die in dieser Ausstellungssaison in Berlin schon mit blitzenden Herdplatten als Skulptur und Wandobjekt und mit einer Serie computergestrickter Haßkappen in den Ausstellungen Metropolis und Außerhalb von Mittendrin vertreten ist, zeigt der Neue Berliner Kunstverein jetzt Papierarbeiten. Die Ausstellung, die aus dem Museum für Gegenwartskunst in Basel kommt und nach St. Gallen, München, Kopenhagen und Köln weiterwandert, unterlegt die spektakulären und monolithischen Objektinszenierungen mit einer kontinuierlichen Produktion eines Zeichen- und Chiffren- Fundus. Rosemarie Trockel, die 1988 mit Einzelausstellungen der Kunsthalle Basel und des Museums of Modern Art in New York bedacht wurde und von der Zeichnungen, Strickbilder und ein Objektenensemble zum Bestand des neu eröffneten Museums für Moderne Kunst in Frankfurt gehört, hat sich in den achtziger Jahren erfolgreich durchgesetzt. Diesem Ruhm trägt die Ansammlung der Papierarbeiten aus einem Jahrzehnt Rechnung. Denn leider ist es erst dem am Markt durchgefallenen Künstler vergönnt, diese ständigen Marginalien, ohne die der kreative Prozeß unmöglich wäre, auszubreiten.
Auf den ersten Blick scheinen die effektvollen Objekte einer computerisierten Haushaltstechnik, die entfunktionalisiert als Fetisch schimmern, nur wenig mit den kleinen Papierarbeiten zu tun zu haben. Während die Skulpturen den Glanz des Unberührbaren, ewig Neuen und Geschichtslosen ausstrahlen, wirken die Papiere wie ein Haufen verlotterter Zettel, abgegriffen und beiläufig.
Doch auch in ihnen findet sich der Umgang mit verpönten Materialien wieder: In Photokopien von Wattebäuschen und Haaren wird der Abfall banaler Körperpflege zu merkwürdigen Geistererscheinungen verfremdet. Befremdlich muten die aus dem Kamm gezogenen Haare in den feinen Linien an, die sich in verschiedenen Zentren auf dem Blatt ballen, als wollten sie Wirbel und Schwankungen von Energiefeldern anzeigen. Dies Umkippen der Wahrnehmung erreicht Rosemarie Trockel häufig, als würde die Beobachtung und Verunsicherung des Betrachters zu ihrem Kalkül gehören.
Oft auf karierten oder linierten Notizzetteln arbeitend, nimmt die Zeichnerin deren dünne graphische Gitterstruktur als Gegebenheit an, zu der sich die von ihr gesetzten Markierungen verhalten müssen. Mit Schellack bestrichen, erhalten die Papiere den Charakter von Pergament, einer konservierten, ehemals lebendigen Materie. Die Farbe, die dann nicht mehr in das Papier eindringen kann, steht wie ein Fremdkörper auf der Fläche.
Körperteile, eine leere Gesichtsfläche wie ein Rahmen, Totenköpfe, Narrenkappen, Andeutungen von Innen- und Außenräumen reißen in den Blättern einen erzählerischen Zusammenhang an, der sofort wieder abbricht. Etwas fehlt immer. Drei Sprechblasen pendeln übers Blatt: »Bitte tu mir nichts«, »Ja, ich werd es mir überlegen«, »Aber schnell«. Da wird man von der eigenen sensationslüsternen Comic-Geilheit kalt erwischt bei Spekulationen über Täter und Opfer, Lust und Angst. Die Sprechblasen, die von oben wie Seilschlingen ins Bild hängen, könnten im nächsten Moment heraus- und um irgend jemandes Hals gezogen werden und das Publikum blind zurücklassen. Diese Drohung des Verschwindens der letzten Spur ist in vielen der knappen Kompositionen gegenwärtig.
Trockel erzählt mit unzulässigen Abkürzungen, die jedem sprachlichen Nachvollzug des Gesehenen zuwiderlaufen: Zwei Blätter sind jeweils von einem senkrechten rötlichen Farbbalken in der Mitte und einem waagerechten am unteren Blattende markiert, am oberen Bildrand hängen zwei Füße. Schon lese ich daraus ein Spiel mit der Auferstehungsikonographie, sehe das obere Kreuzesende mit den Füßen des auffahrenden Christus. Was aber sollen die dunklen Kugeln dazwischen? Ein anderes Mal sind es Brotlaibe, die zwischen Füßen schweben und eine irgendwie verrutschte Assoziation zum Abendmahl erwecken.
Ganz weit hinter den Zeichnungen läßt sich ein Fundus von Totentänzen, Vexierbildern und karnevalesken Verstellungen erahnen, die auf dem weiten Weg aus dem in Köln vielfach gegenwärtigen katholischen Mittelalter bis in die Gegenwart der Künstlerin fast unkenntlich geworden sind. Aber eben nur fast; mit dem wiedererkennbaren Rest operiert Rosemarie Trockel an einer Wahrnehmungsschwelle, die den Betrachter oft am kippeligen Rand eines déjà vu hält. Katrin Bettina Müller
Papierarbeiten von Rosemarie Trockel im Neuen Berliner Kunstverein, Kurfürstendamm 58, Mo. und Fr. 12-18.30, Di. und Do. 12-20, Sa. 11-16 Uhr. Bis 3. August, Katalog für 25 DM.
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