: HOCH- UND DEUTSCHMAESTRO
Der taz-Nationalgefühlsservice bietet zum schnellen Verzehr: die schönsten Stellen aus einem gestern in der 'Welt‘ erschienenen Interview mit dem dem Cleveland Orchester vorstehenden Dirigenten Christoph von Dohnanyi über Deutschland (inkl. Ostgebiete, Österreich-Ungarn etc.), deutsche Musik und deutsche Dirigenten unter Berücksichtigung einer artgemäßen Karajan-Nachfolge.
'Welt': Was machen die Deutschen falsch im Weltkonzert der Musik? Einst waren sie doch im wahrsten Sinne des Wortes tonangebend, und jetzt finden sie kaum noch deutsche Dirigenten von Rang für die Vielzahl der Orchester, die auf der Suche nach einem Chef sind.
Dohnanyi: Ich muß sagen, es gibt nach wie vor in Deutschland schon sehr, sehr gute Dirigenten Man muß das Glück haben, auf ein Orchester und auf Menschen zu treffen, die Sinn für zentraleuropäisches, sprich: deutsches (oder österreichisches) Musizieren haben .
'Welt': Besteht der alte Respekt des amerikanischen Publikums vor den deutschen Musikmachern immer noch?
Dohnanyi: Ich denke aber auch, daß das Vorurteil der Amerikaner gegen die politische Vergangenheit mancher Dirigenten aus Deutschland ziemlich irrational ist. Aber es besteht schon ein großer Respekt vor deutscher Musik und deutschem Musikmachen. Die deutschen Orchester haben vielleicht noch einige Schwierigkeiten mit dem musikalischen Demokratieverständnis. Die amerikanischen Orchester jedenfalls kommen gar nicht auf die Idee, dem Dirigenten in künstlerische Entscheidungen, Spielplan und Besetzung hineinzureden. Ein potentiell starker Dirigent liebt Verantwortung, will aber auch die ihm zustehende Entscheidungsgewalt üben.
'Welt': Deutschland hatte bis vor kurzem so einen starken Mann an der Spitze der Berliner Philharmoniker. Und was nun?
Dohnanyi: Berlin hat nach meinem Gefühl jetzt drei Möglichkeiten. Erstens: Das Orchester wählt sich einen wirklich kompetenten Mann. Den wird es nur kriegen, wenn dieser Mann einen Vertrag bekommt, der ihm volle künstlerische Entscheidungsmöglichkeiten beläßt. Eine weitere Voraussetzung ist, daß das Orchester ihm sein volles Vertrauen schenkt, ihm folgt und nicht glaubt, sich fortgesetzt in seine Entscheidungen einmischen zu müssen. Die andere Möglichkeit: Man wählt sich besagten Papiertiger, der möglichst viele Schallplattenverträge bringt, der keine Vollmachten erwartet, sondern Geld. Das wäre die ungute Lösung. Die dritte Möglichkeit wäre, es den Wiener Philharmonikern gleichzutun und künstlerisch wie organisatorisch alles in die eigenen Hände zu nehmen, was in Wien bislang ziemlich gut geklappt.
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