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HIPPIE-BIGOTTERIE

■ Der „Tannhäuser“ der „Amsterdam Balloon Company“ in der UFA-Fabrik

Gern möchte man der „Amsterdam Balloon Company“ die Faszination an der ursprünglichen Tannhäuser-Legende glauben, die von einem libidinös lebenszugewandten mittelalterlichen Empfinden zeugt, das sich gegen die herrschende Kirchenmoral immer wieder Ausdruck schuf. Tannhäuser verläßt darin nicht die sexuelle freie Venusberg -Gesellschaft, um wie bei Wagner für die Sünde des Fleisches Sühne zu suchen. Er ist daraus verbannt, da er für diese höhere Lebensform noch nicht reif ist. Die Erfahrungen in der lieblosen äußeren Welt geben ihm Grund, in den Venusberg zurückzukehren, wo er lebte und liebte bis ans Ende seiner Tage.

Wenn uns etwas von der feinen Poesie dieser Geschichte mitgeteilt würde! Doch die Wollust des Venusbergs äußert sich bei der „Amsterdam Balloon Company“ in einem poppig buntkostümierten Kollektivtänzchen, einer Art Bauchtanz von der Erotik eines Rumpelstilzchens, der Eloge eines Alten auf den Wein (in vino libido?), schließlich dem „Fetisch“, Song eines Doubles, von Frank'n'Furter. Tannhäuser dazwischen, wie ein genießerischer Dracula, dem man die Bloody-Mary noch nicht serviert hat. Endlich spinnen ihm, dekorativ bunt im Schwarzlicht, die Nornen den Schicksalsfaden, den sie als Springseil nutzen.

Tannhäuser in der wirklichen Welt. Ein trommelnd singender Pseudo-Indianer kündigt mit harscher Klage über alle moderne Unbill an: es wird gesellschaftskritisch. Ein seine Zivilisationsleiden beklagender Bankkunde, ein seine Gen -Programmierung erklärendes Bayern-Mädel bestätigen ihn. Man scheint den Tannhäuser mit dem Sängerkrieg verwechselt zu haben (einer anderen Geschichte, die nur Wagner dem Tannhäuser hinzufügte). Hier darf wirklich, ob wave oder Broadway, mehr oder weniger gekonnt, jeder einmal der Sangeslust frönen. Der Höhepunkt: Ein „Turbo-Konsumquiz“, ein Hohn auf den unterhaltungssüchtigen Konsumenten, wie ihn heute das Fernsehen selbst, in seiner obligatorischen Selbstironie, auch schon fertigbringt.

Tannhäuser wieder im Venusberg. Da fällt ihm gar großmächtig das „neue Bewußtsein“ an, von „Tantra„-Dia bis zur Goldpuppen gebärenden Buddha-Mama, nebst anderen so rauschhaften Nummern. Mittlerweile findet jede dritte im Schwarzlicht statt.

Man kann das nur Bigotterie nennen: wenn sich jemand zum Konsumkritiker aufwirft, zugleich nichts als die populärsten Show-Klischees serviert (daß das Publikum, bzw. der Konsument dies so wolle, führt jeder Verkäufer an); oder wenn man über die Computerisierung stöhnt, dabei, wie das so üblich ist, modernste Musiktechnik benutzt, um einen sonst vielleicht zu schwachen Singsang den fuckigen Sound mitzugeben; oder man bezieht sich so sehnsüchtig auf außereuropäische Kulturen, nimmt von ihnen jedoch nur Bruchstücke, die man rücksichtslos in seinen Show -Mechanismus einbaut. Die dabei dargebrachte Kritik tut auch niemandem mehr weh.

Die „Amsterdam Balloon Company“ vereinigt, ihrer Selbstdarstellung zufolge, Künstler aller Sparten bis hin zur Magie (?). Wie gut kann man sich doch, wenn man nichts richtig kann, darauf herausreden, daß man alles kann. Die Gruppe kommt aus dem Eigenlob gar nicht mehr heraus: „Avantgarde“ sei das, „Underground“, „dadaistisch“ und führe zu „Katharsis und Klimax“. Dieses lauwarme Schaumbad ist nicht mal im Traum orgiastisch.

Zum Abschluß trommeln sie (nun wieder akustisch) zum hippiesken Gemeinschaftsdusel, der in eine Poeten-Session überleiten soll. Im Venusberg waren sie sicher nicht die letzten 20 oder mehr Jahre. Aber wo dann?

glagla

Die „Amsterdam Balloon Company“ zeigt „Tannhäuser“ bis zum 31.7., täglich außer Mo., 20 Uhr in der UFA-Fabrik

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