normalzeit : HELMUT HÖGE über das politische Ei
Der Bau- und Bodenwahn
Fast zeitgleich zwei Ostveranstaltungen: In dem bis zur Baufälligkeit heruntergekommenen Potsdamer Hans-Otto-Theater über die Arbeitslosigkeit im Osten. Und in den neuen Berliner Nobelräumen der Konrad-Adenauer-Stiftung eine Diskussion über die Auswirkungen der Treuhand-Privatisierungspolitik auf Ostdeutschland.
In Potsdam berichtete ein Pressesprecher des Brandenburger Arbeitsamtes über die 40.000 Ich-AGs, die seine Agentur bisher finanziere. Ein Fachleiter der Potsdamer Industrie- und Handelskammer sprach über die neuen Arbeitsplätze in Callcentern und die Aus- beziehungsweise Weiterbildung von Wachpersonal und Personenschützern bei der IHK – unter anderem für reiche Neupotsdamer „wie zum Beispiel Jauch und Joop“. Ein Callcenter-Mitarbeiter erzählte, dass – und wie – er seinen eigentlichen Beruf, das Inszenieren von Theaterstücken, nur in seiner Freizeit ausüben könne.
Anlass für dieses Podiumsgespräch über „Die Zukunft der Arbeit“ war die Aufführung eines Dreipersonenstücks von Edoardo Erba, „Die Maurer“. Es ging darin um zwei arbeitslose Bauarbeiter, die schwarzarbeiten, um sich mit dem Geld als Dienstleister selbstständig zu machen – was der italienische Regisseur durch Hereinnahme einer weiblichen Baustellenerscheinung, die laut vom Comersee träumt, als falsches Glück darstellte.
Auf dem Podium der Konrad-Adenauer-Stiftung ging es ebenfalls um Arbeitslose, aber auch darum, dass zu viel Geld für bloße Baumaßnahmen in den Osten geflossen sei, was vor allem mit der Abschreibungsmöglichkeit „Sonder-Afa“ erklärt wurde. Aber, wie Exbundesbankpräsident Helmut Schlesinger erklärte, solche staatlichen Finanzhebel lassen sich eben schlecht steuern. Die letzte Treuhandchefin Birgit Breuel meinte: „Wir mussten eine soziale Marktwirtschaft dort einführen ohne einen Markt!“ Zwar habe man damals für die gigantische Aufgabe, eine ganze Volkswirtschaft zu privatisieren, kaum auf Erfahrungen zurückgreifen können, aber heute gebe es überhaupt „keine Konzepte für den Aufbau Ost“ mehr – nur noch „Ratlosigkeit“.
Der Politikwissenschaftler Alfred Grosser erinnerte daran, dass sich die Ostsozialistin Christa Luft ebenso wie der Westmarktwirtschaftler Hans-Werner Sinn damals einig gewesen waren: Die Treuhand habe das Volksvermögen verschleudert. Die Wende sei dann 1992 mit dem Eierwurf auf Kohl in Halle gekommen! Da war sich das Podium einig, denn daraufhin gab das Kanzleramt der Treuhand vor, „industrielle Kerne zu erhalten“. Auch dabei wurde jedoch anscheinend „zu viel in Gebäude investiert“, kritisierte MdB Günter Nooke, Ost-CDUler. „Die Instrumente des Staates zur Wirtschaftssteuerung sind in der sozialen Marktwirtschaft zum Glück gering“, hielt Exbankchef Schlesinger dagegen. In Summa: Man müsse nun sehen, was sich aus den erhaltenen „Kernen“ entwickle und brauche im Übrigen vor allem eins – Geduld!
Während uns im Hans-Otto-Theater die Brigade der Bühnenarbeiter abrupt aus dem Gebäude vertrieb – „Feierabend!“ –, wurde in der Konrad-Adenauer-Stiftung anschließend noch Weißwein serviert. Dabei kam es zu einem Gespräch zweier CDUler aus Berlin: „Ein einziges Ei auf Kohl soll eine Änderung der Treuhandpolitik bewirkt haben? Da könnte man genauso sagen, dass das Ei auf Diepgen im Jahr darauf bei der Grundsteinlegung des Potsdamer Platzes eine Wende in der Stadtpolitik eingeleitet habe.“ „Da vergleichst du quasi Äpfel mit Birnen. Hinter dem Kunzelmann-Ei standen doch nur noch die Kreuzberger Chaoten, die damals vollends ins Abseits gerieten. Aber hinter dem eierwerfenden Juso in Halle stand die halbe ostdeutsche Bevölkerung, wenn nicht sogar mehr. In der Zeit erschien danach ein Artikel über den Eierwurf in der Geschichte, danach signalisiert das Werfen von Lebensmitteln nur den Beginn einer Radikalisierung und Ausweitung der Protestbewegung. Als nächstes werden dann Steine oder Molotowcocktails geworfen. In Deutschland flog 1964 das erste Mal ein Ei gegen einen Politiker – und zwar gegen den kongolesischen Ministerpräsidenten Tschombé: Damit begann die Studentenbewegung. Kannst du dir vorstellen, was sich aus dem Hallenser Ei alles hätte entwickeln können?“ „Ohne den Juso ein freilaufendes Huhn, nehme ich mal an …“ Helmut Höge