HARTZ IV: Kinder sind menschenwürdiger
Seit fünf Jahren wird Kindern armer Familien das Existenzminimum für ein menschenwürdiges Leben verweigert. Mehr als 30.000 in Bremen sind betroffen
Wie viel braucht ein Mensch in Deutschland mindestens zum Leben? Das ist die Frage, die die Regelsätze von Hartz IV beantworten sollten. Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier hat bei der Anhörung des Gerichtes zu dem heutigen Urteil vom "Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums" gesprochen.
Die Schröder-Regierung kam 2004 auf den Hartz-IV-Regelsatz von 345 Euro für einen alleinstehenden Erwachsenen, der Satz ist in fünf Jahren auf heute 359 Euro angehoben worden.
Für Kinder gelten - je nach Alter - 60, 70 oder 80 Prozent davon. Das es so einfach nicht geht, hat der Bundestag schon im vergangenen Jahr klargemacht, als er 100 Euro als "Schulbeginn-Prämie" obendrauf legte.
Wer in der Ausbildung ist, hat besondere Kosten. Für Theaterbesuche oder Sportvereine fallen Kosten an, wenn ein Jugendlicher einen Wachstumsschub tut, braucht er schneller neue Kleidung als Erwachsene. Und überhaupt verschleißen Kinder ihre Klamotten schneller. Wer Hartz-IV-Kinder nicht ausgrenzen will aus ihren sozialen Zusammenhängen, muss ihnen einen Betrag für die Statussymbole der jeweiligen Peer-Gruppe gönnen. "Kinder brauchen denselben Satz wie Erwachsene", folgert Herbert Thomsen vom Bremer Erwerbslosenverband aus der seit langen immer wieder vorgetragenen Kritik.
In dem Jahr nach der Einführung von Hartz-IV ist die Zahl der Kinder, die in Armut leben, sprunghaft angestiegen. Das lag daran, dass die alte Arbeitslosenhilfe viele Bezüge "nebenher" erlaubte, die bei Hartz-IV alle angerechnet werden. Als im vergangenen Jahr das Kindergeld um 20 Euro im Monat angehoben wurde, mussten die Hartz-IV-Empfänger feststellen, dass sie nicht dazu gehörten, denn Kindergeld wird bei Hartz-IV angerechnet, das heißt: abgezogen. Da geht es um viel Geld: 569 Millionen Euro sparte der Bund im Jahr dadurch, dass er die Kindergelderhöhung bei den Transfer-Einkommen abgezogen hat.
Bremens Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) teilt die Kritik an den Hartz-IV-Kindersätzen. Sie plädiert für ein "Grundeinkommen" für jedes Kind in einer Höhe von 300 bis 350 Euro, das an die Stelle von Kindergeld, Steuerfreibetrag, Ehegattensplitting und Kinderzuschlag für Familien, die knapp über dem Hartz-IV-Satz liegen, treten soll.
Wer gut verdient, muss dieses Geld versteuern, wer unter der Steuergrenze liegt, hätte für jedes Kind fast den Erwachsenen-Regelsatz. Wohlfahrtsverbände fordern eine Kinder-Grundsicherung" von 500 Euro.
Solche Vorschläge zu machen, liegt nicht in der Kompetenz des Bundesverfassungsgerichtes. Es kann nur das von Rot-Grün damals gewollte System als verfassungswidrig verwerfen. Ob es eine kleine oder eine große Reform gibt, liegt dann an den neuen politischen Mehrheiten. Und die sind schwarz-gelb.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!