Gypsy-Punk: Party und Politik
Auf ihrem neuen Album "Super Taranta!" mischen Gogol Bordello Roma-Musik mit Punk und stellen sich ruppig gegen den Ausverkauf
Über Filme will er nicht reden. Eugene Hütz nächtigt im Leonard Hotel in London, wo er für Madonnas erste Regiearbeit vor der Kamera steht. "Vom Hörensagen wusste ich schon länger, dass sie ein Fan von mir sein soll", erzählt der Sänger von Gogol Bordello. "Die Leute in der Ukraine sind total ausgeflippt, als sie das hörten. Für sie waren das Neuigkeiten wie aus einer anderen Galaxie." Mehr aber sagt Hütz nicht zu dem Thema. Immerhin sei doch ein Interview zum neuen Album seiner ukrainisch-amerikanischen Band abgemacht gewesen.
Dass der schauspielernde Sänger immer auch zu Filmrollen befragt wird, obwohl er sich doch als Musiker versteht, passiert dauernd. Trotzdem ist "Super Taranta!", das fünfte Album von Gogol Bordello, erstaunlich gut gelungen. Erstaunlich deshalb, weil Befürchtungen bestanden. Erstens: Der 34-jährige Hütz könnte seiner gewachsenen Bekanntheit und einem größeren Publikum zuliebe den Bandsound glätten. Immerhin tauchte er in der Hollywoodproduktion "Alles ist erleuchtet" an der Seite von Elijah Wood und auf dem erfolgreichen "Bucovina Club"-Sampler auf. Gogol Bordello spielten in den letzten Wochen außerdem beim "Rock am Ring" und standen mit Madonna bei "Live Earth" auf der Bühne. Und zweitens: Ist die Balkan- und Osteuropawelle nach "Time Of The Gypsies", nach Goran Bregovic, Fanfare Ciocarlia und "Russendisko", nach Beirut und A Hawk And A Hacksaw jetzt nicht ziemlich durch?
Gogol Bordello setzen gegen den Ausverkauf auf Ruppigkeit und Experimentierfreude. "Viele Bands kreuzen mittlerweile osteuropäische Klänge mit Rock", erklärt Hütz. "Mich interessiert aber nicht der Mix, sondern das Feuer einer Musik. Jedes ukrainische Roma-Lied klingt im Original besser als sein Remix." Der Sohn eines russisch-ukrainischen Vaters und einer Roma-Mutter, der nach der Tschernobyl-Katastrophe sein Geburtsland verließ, gründete seine Band 1999 mit weiteren Immigranten in New York. Damals konnte von einem Trend noch nicht die Rede sein.
Auf "Super Taranta!" rücken Gogol Bordello soundmäßig wieder näher an Bands wie The Clash, Mano Negra oder Les Negresses Vertes: Punk mit vibrierenden Ska-, Reggae- und Dub-Anleihen. Die Songs wurden allesamt live im Studio eingespielt, fast ganz ohne elektronische Manipulationen. Für die luzide Produktion, die vor allem Sergey Rjabtzevs Geige und Yuri Lemeshevs Akkordeon Schärfe und Leichtigkeit verleiht, zeichnet Victor Van Vugt (Nick Cave, PJ Harvey) verantwortlich. Außer bei der die Nachwehen einer durchzechten Nacht beklagenden Düster-Nummer "Alcohol" ist das Tempo durchgehend hochtourig - bis hin zu Metal-Anklängen in "Forces Of Victory".
Aber geht es allein um Party? Nein: "Party and politics", stellt Hütz klar. Auf der Bühne wirbelt er zwar ganz gern mal mit nacktem Oberkörper herum und drischt mit Drumsticks auf Feuerlöscher ein, "als hätte Balkan-Regisseur Emir Kusturica von Iggy Pop geträumt", wie ihn der Spiegel einmal charakterisierte. Doch ganz ohne Botschaften sind seine Songs nicht. Mit "Wanderlust King" besingt er auf dem neuen Album - tatsächlich ohne romantische Verklärung - das Zigeunerdasein. Und "Zina Marina" thematisiert eine moderne Form der Sklaverei: Im ehemaligen Sowjetstaat Ukraine droht zahllosen Frauen das Schicksal der Zwangsprostitution.
"Gypsy-Musik und Reggae", sagt Hütz, "wurden von armen Leuten geschaffen, die nichts zu verlieren hatten. Sie mussten Wege finden, anders auf die Welt zu blicken". Das neue Album, so Hütz, sei also der erste Entwurf einer "New Rebel Intelligence", die bitter nötig sei - und sicherlich nicht umsonst an ähnliche Ideen von Mano Chao erinnert: "Wenn du dir die Globalisierung, die politischen Katastrophen und das allgemeine Chaos anschaust, dann wird dir schnell klar, dass du deinen eigenen Weg finden musst, um zu überleben." Ob er sich zu diesen Fragen wohl Rat bei Madonna geholt hat?
Gogol Bordello: "Super Taranta!" (Sideonedummy/Cargo); Live: 12. 8. beim Taubertal Festival
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