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„Guter Schnitt! Wer kommt mit!“

■ So ein schönes Fest zum 750. Geburtstag: 5.000 Gäste im Kongreßzentrum, Reden, Film, Chöre und Kalte Buffets / Von der pulsierenden Metropole zum „surrealistischen Käfig“ aus Gold und Glitter / Brandt verkündet Ende der Nachkriegszeit

Aus Berlin Mechthild Küpper

Vor dem Feiern im Internationalen Congreß Centrum (ICC) kam, wie üblich, das Schlangestehen. Und dann die Hymne, diesmal in der zierlichen Orchesterfassung ohne Mitsingen, weil die Berliner Festgäste sich im Reichstag letztes Jahr so blamiert haben, als sie immer noch „Einigkeit und Recht und Freiheit“ brummten, während das Orchester schon längst fertig war. „Wir sind in Berlin zu Hause“, sagte der schwarze Bürgermeister von Los Angeles, der Partnerstadt der westlichen Halbstadt, Tom Bradley. Er erinnerte an Jesse Owens, den schwarzen Läufer, der den weißen Mitstreitern auf der Nazi–Olympiade 1936 davongelaufen war. Nach Los Angeles kämen die Menschen auf der Jagd nach dem amerikanischen Traum, erzählte Bradley. Zu hoffen sei, daß in Berlin der „Geist von Glasnost“ bald die Mauern fallen ließe. Glasnost ist in der west–östlichen Reisediplomatie der letzten Monate noch immer ein Fremdwort. Deshalb feierte man am Donnerstag vormittag den Auftakt zur 750–Jahr–Feier ohne Erich Honecker und ohne daß der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen sich zu seiner Einladung nach Ost–Berlin geäußert hätte. „Berlin bleibt eine Stadt, auch wenn wir zweimal feiern“, stellte Diepgen unter Applaus fest. „Zwei Pole, die / mich Nerven kosten / Der Westen / hier .../ Und dort .../ Der Osten!“, sang der „Genius loci“ des „Cantus für Berlin“, einem Auftragswerk von Dieter Hildebrandt und Jolyon Brettingham–Smith, in schönstem Alt und blauem Kleid. Wer gefürchtet hatte, das Werk mit seinen 750 Sängern werde ein gräßlich gigantomanisches musikalisches Schulterklopfen, sah sich angenehm überrascht. Die wuchtige Anlage schuf nur den Hintergrund für feine Zitate und Anspielungen, das ganze Stück lebte von ironisch–doppelbödigen Verweisen und Bezügen. „Berlin, erkühne dich / Zu friedlich großen Zielen: / ... / Mit Hoch– und Sub kultur / ... auch mal mit Jubiläen“, sang der Männerchor am Schluß des „Hexenritts“ durch 750 Jahre. Von „In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ bis „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ und „Sauseschritt! / Nur Profit! / Guter Schnitt! / Wer kommt mit!“ war alles vertreten. Und der „Genius loci“ fühlte „Zwei Seelen, ach, in meiner Brust“. Nur zum Schluß mußte es wieder kitschig werden: Da kamen die Kindlein und machten Ringelreihn vor der Bären– Flagge. Die Uraufführung des Werkes mit 750 Chorsängern löste keine ungeteilte Freude aus, aus voller Brust bejubelt wurde einzig und allein Willy Brandt. Der befand: „Das Ende der Nachkriegszeit ist angebrochen.“ Er erinnerte an das, was nach der „spießig–bombastischen 700–Jahr–Feier des Jahres 37“ kam: Krieg, Völkermord, Trümmer. An die Blockade und Selbstbehauptung der Berliner, an Visionen und zupackende Pragmatik. Auch an das, was „im anderen Teil Berlins durch harte Arbeit der Menschen geleistet worden ist“. Nichts sei bei diesem Jubiäum wichtiger, als bei der Arbeit an der Entspannung „keine Chance ungenutzt“ zu lassen, „Kleinmut und veraltetes Denken“ hinter sich zu lassen. Mit leiser Süffisanz - wohl in Richtung Diepgen - fügte der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin hinzu: „In fünfzig Jahren wird man sehen, was hieraus geworden ist.“ Vor allem konnte man sehen, was Berlin in den letzten 60 Jahren Berlin nicht geworden ist: Der dritte Akt aus Walter Ruttmanns Film von 1937, „Sinfonie der Großstadt“ erlaubte einen kühlen Blick auf die ehemalige Metropole Berlin. Kühne Schnitte, verwegene Kameraeinstellungen, Tempo! Tempo! am Postdamer Platz und nicht nur dort - wie armselig nehmen sich dagegen die Flaggen und Blumenkübel aus, die heute Berlins Metropolenanspruch signalisieren. Das Schönste aus Helmut Kohls Rede soll auch nicht fehlen. Er zitierte den Komponisten György Ligeti. Berlin sei „... ein surrealistischer Käfig: die, die drinnen sind, sind frei“. Daß Kohl, wie er zuvor immer wieder beschwichtigend betont hatte, der „Hauptredner“ des Festakts war, hätte Erich Honecker nicht von der Reise nach Berlin (West) abzuhalten brauchen. Denn Kohl sagte, was auch Genscher sagt: „Keine Seite sollte die andere überfordern.“ Und auch, daß die Mauer von der „Gechichte“ keinen Bestand haben werde. Am allerschönsten, weil urberlinisch, war der krönende Abschluß an den kalten Buffets. Da sah man die festlichen Gäste schon von den Rolltreppen aus nach den Bouletten grapschen, da quietschen die sauren Gurken, die Spanferkel trieften vor Fett. „Lutter und Wegener“ wurde runtergekübelt wie sonst nur die schöne Molle. Blasorchester spielten dazu, und draußen schien die Sonne auf Berliner und Zugereiste. Zum Lieblingssport überdrüssiger Berliner wird es derweil, sich mit Hilfe eines Automobils und der Mauer im Wedding ums Leben zu bringen. Schon der fünfte Mauer–Selbstmörder ging in die Chronik des Jahres Eins nach der 750–Jahr–Feier ein.

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