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Guten Mutes hängt kein Kopf

Das bedauernswerte 0:0 zwischen Mönchengladbach und Bielefeld sorgt für Floskel-Konjunktur und bringt beide Teams ein gutes Stück weiter – Richtung 2. Liga  ■ Vom Bökelberg Holger Jenrich

Man hätte wetten können, was der bedauernswerte Herr im Trainingsanzug am Ende wieder sagen würde. „Wir dürfen den Kopf nicht hängen lassen“, floskelte Trainer Norbert Meier nach dem torlosen Remis seiner Gladbacher gegen Abstiegskonkurrent Arminia Bielefeld, „jetzt müssen wir halt in Leverkusen punkten.“

Same procedure as every week – allein: es fehlt der Glaube. Allenfalls der Berufsoptimist von Rüssmanns Gnaden geht noch davon aus, den Absturz des fünfmaligen deutschen Meisters in die Niederungen der Zweitklassigkeit noch verhindern zu können. „Ich bin guten Mutes“, diktierte er der verdutzen Journaille, „daß wir noch die nötigen Punkte holen werden.“

Daß seine Jungs im Duell der Kellerkinder überhaupt einen Punkt ergattern durften, lag in erster Linie an den gnädigen Gästen aus dem Westfalenland. „Ich hätte gern 11 gegen 11 weitergespielt“, meinte Gästecoach Ernst Middendorp, „alles andere haben wir irgendwie nicht raus.“ Der Mann spricht aus leidvoller Erfahrung. Doch nach Juskowiaks roter Karte kurz vor Halbzeit mußte der Tabellenachtzehnte gegen den Vorletzten notgedrungen mit einem Mann mehr ran. Pfeifenmann Albrecht hatte dabei, statt seinen Assistenten Kammerer zu konsultieren, Rücksprache mit Arminen- Keeper Koch gehalten.

Die Chancen und Vorteile aber, die eine solche Konstellation nun mal mit sich bringt, vertändelten die abschlußschwachen Kuntz oder Reeb oder Bode in derart zuverlässiger Manier, daß Guiseppe Reina seiner Mannschaft attestieren mußte, sich „etwas zu dumm“ angestellt zu haben. Wesentlich kryptischer äußerte sich Stefan Effenberg über das Schicksalsspiel, das nach Lage der Dinge wohl zwei der drei gesuchten Absteiger hervorgebracht haben dürfte: „Zu diesem Spiel darf ich nichts sagen. Das, was ich sagen würde, würde mich noch mehr strafen. Jeder hat gesehen, was heute hier los war.“ Gesehen haben die am Ende mehr weinenden, denn pfeifenden Leute auf den Rängen in der Tat so einiges. Einen polnischen Mittelstürmer zum Beispiel, der den sächsischen Ostwestfalen Silvio Meißner derart unglücklich umsenste, daß dieser mit Wadenbeinbruch und diversen Bänderrissen dem Treiben seiner Kollegen ein halbes Jahr wird von draußen zusehen müssen. Eine Gladbacher Mannschaft, die den Ball in Person von Effenberg, Klinkert und Pflipsen statt ins Netz mit Vorliebe ans Gebälk beförderte. Und einen Linienrichter, der ausgerechnet in jenem Moment sehr zu Recht mit seinem Abseitsfähnlein wedelte, als die Kugel irgendwie doch noch mal im Gästegehäuse gelandet war.

„Jetzt muß man auf sehr viel Glück hoffen“, resümierte Gladbachs Abwehrrecke Patrik Andersson in gewohnter Einsilbigkeit. Zwei Stunden zuvor hatte der Stadionlautsprecher noch den Triumphmarsch aus „Aida“ gedröhnt, die Fans, in Treue fest, „Marmor, Stein und Eisen bricht“ gegröhlt. Während die Arminen trotz roter Laterne noch erstaunlich gelassen dreinblicken, auf das Nachholspiel gegen die dann vielleicht schon zum Meister gekrönten Lauterer hoffen und auf das bevorstehende Spiel gegen den VfL Wolfsburg, wo sie laut Ernst Middendorp „einen Dreier holen“ wollen, wird man sich am Niederrhein nun mit dem noch vor Wochen nicht für möglich gehaltenen Unvermeidlichen befassen müssen.

„Das Handeln wird von unserer Überzeugung bestimmt, in der ersten Liga zu bleiben – und so planen wir auch“, hatte Präsident Jacobs unlängst noch getönt. Aber nach nur zwei Siegen in der Rückrunde, nach einem einzigen Sieg in den letzten elf Heimspielen und bevorstehenden Auswärtsaufgaben in Leverkusen, Dortmund und Kaiserslautern wird der Krankenkassen-Funktionär mehr Realismus an den Tag legen müssen.

Am realistischsten gerieren sich in Mönchengladbach momentan die Jungs des kritischen Fanzines „90 Minuten und mehr“. Ihre Erstliga-Abschiedsnummer ziert das Konterfei des ungeliebten Rolf Rüssmann – und eine Borussen- Uhr, die auf Viertel nach Zwölf steht...

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