: Guerilleros haben ihren Preis
■ Grenzüberschreitungen — Eine Ausstellung in der Galerie Silvia Menzel
Am 7. Oktober, pünktlich zum 41. Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, endete »Die Endlichkeit der Freiheit«. Doch das Begleitprogramm des senatsgestützten Flops läuft weiter.
Die Galerie Silvia Menzel bezieht sich mit ihrer aktuellen Ausstellung »Passagio di confine« direkt auf das Großprojekt »Die Endlichkeit der Freiheit«. Als eine der achtzehn Galerien, die das dürftige, aber senatsgestützte Projekt erklärtermaßen flankieren, um »dem Weltpublikum ein anständiges Begleitprogramm zu offerieren« (so Marius Babias in der 'Zitty‘), zeigt Menzel die Altmeister der arte povera Mario Merz, Jannis Kounellis und Michelangelo Pistoletto — die international bedeutendsten und teuersten lebenden Künstler, die gegenwärtig in der Stadt zu sehen sind.
Neben Raphael Rheinsberg bei Petersen, der mit einer Kollektion Fundstücke aus dem Bestand der Grenzüberwacher der alten Transitstrecke eher archivarische Interessen verfolgt und Michael Tracy bei Raab, der aus der Mauer eine blumige Metapher macht, gehen die Galeristin und Bettina Ruhrberg die Thematik komplex genug an, daß die drei Installationen nach ihrer ästhetischen Erkenntnisleistung befragt werden können. Good clean fun gibt es anderswo.
»Grenzüberschreitungen« heißt die Ausstellung der drei Künstler, die von ihrem Cheftheoretiker Germano Celant Ende der sechziger Jahre mit dem Label »arte povera« in einem politästhetischen Rahmen vorgestellt und durchgesetzt worden sind. Unter der Überschrift »Notizen für einen Guerillakrieg« präsentierte Celant das Programm der arte povera: »Aus dem System heraustreten bedeutet Revolution. Der Künstler wird vom Ausgebeuteten zum Nomaden.« Merz, Kounellis, Pistoletto waren dabei. Im Gegensatz zur Pop-, Op-, Minimal-Art und ihren hochorganisierten, analytischen Bezügen sollten einfache (arme) Materialien und einfache Gesten maximale Wirkungen erzeugen und ein Bewußtsein für die Gegenwart schaffen. Das durch die Messenmedien trainierte Verhalten soll aufgehoben werden. Der Konsument soll produktiv und künstlerähnliche Verhaltensweisen Lebenspraxis werden. Doch bereits 1971 zur Eröffnung der Ausstellung »ARTE POVERA« in München verwarf Celant seine Konzeption, hielt »die Auflösung des Mythos der Kultur im täglichen Leben« für gescheitert. Der Entwurf war zerfleddert, die Künstler aber etabliert. Der Stratege Celant brachte sein begriffliches Korsett erst dann wieder ins Spiel, als es darum ging, neben der Neuen Galerie (Cucchi, Clemente, Chia) die »arme« alte Garde weiterhin salonfähig und straff zu halten. Nun ist »arte povera« kein Ausdruck nomadisierender Militanz, keine politrevolutionäre Kunst mehr, sondern — die Revolutionäre verhandeln in den Chefetagen — eine »ikonoklastische Attitüde«. Als sei alles nicht so gemeint gewesen, waren die Künstler der arte povera nur traditionelle Bilderstürmer, sonst aber okay, weil ästhetisch professionell. Tatsächlich haben sie als Gruppe nie existiert — einsame Guerillos, die sie waren und geblieben sind.
Das Modische im Verbund mit dem Dauerhaften
Maria Merz begann Anfang der fünfziger Jahre als Maler und hat mittlerweile wiedererkennbare Merz-Signets zu kombinierbarem Vokabular ausgebildet: Iglu, Spirale, Glas, Reisigbündel, Neonschrift — und die allüberall erwähnte Fibonacci-Reihe, von der er bereits 1976 in einem Interview sagte, daß der die Schnauze voll habe (I'm sick of it), immer wieder damit identifiziert und danach gefragt zu werden. Auf diese Signets verzichtet Merz in der Arbeit bei Menzel ganz. Deutlicher als sonst ist der gesellschaftliche Bezug und die Eleganz seiner Handschrift in der Zeichnung. Es ist, als kehre er an seine Anfänge zurück, besänne sich auf einen Neuansatz. Seine Installation setzt den Menschenrechten ein Denkmal:
Ein Rundbogen — wie ein gotischer Paß — bildet den Rahmen für den aus dem Mittelalter bekannten Gebrauch, den Titulus mit ins Bild zu nehmen. In greller Neonschrift springt er sofort ins Auge: Declaration des droits de l‘homme et du citoyen. Über die hohe Leinwand skizzierte Merz schwarz monumentale Füße — als kämen Riesen angerannt. Dynamik, Energie und die Stabilität des Rundbogens verbinden sich, schlagen eine Brücke vom Mittelalter in die Neuzeit. Vor der Schrifttafel Stapel mit Zeitungen: 'Le Monde‘ vom 6. Juli 1989. Was war da? Da schrieb der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel einen Essay über die Menschenrechte, wurde das Bicentenaire der Französischen Revolution vorbereitet und seitenlang über das Theaterfestival in Avignon berichtet — wie immer im Juli.
Die flüchtige, von den Zufällen der Welt diktierte Realität der Tageszeitungen, die sich in der Wiederholung erneuert und das Beständige des gotischen Rundbogens, ergibt formal die ästhetische Konstruktion der Moderne seit Baudelaire, das Modische im Verbund mit dem Dauerhaften. Damit macht Merz die »Declaration« zu einem Phänomen der modernen Zeit mit ihren eigenen Mitteln.
Zwischen Tau und Eisen
Jannis Kounellis stellt keine abgeschlossenen »Werke« her. Oft ist nicht deutlich zu bestimmen, wo ein »Werk« beginnt und endet. Bruchstücke eines nicht mehr konstituierbaren Ganzen; Spuren verschütteter Zeiten; Provisorien zwischen einer als sinnvoll gedachten früheren Einheit und einer immer gegenwärtigen Ungewißheit. Das verlangt von BetrachterInnen die Bereitschaft, sich einem Raum auszusetzen, der weder eine bündige Botschaft noch Gewißheiten zu bieten hat. 1969 durchbohrte Kounellis eine schwere Eisenplatte an zwei Punkten und ließ aus den Bohrlöchern Haarsträhnen heraushängen. Einige Jahre später stellte er in einen Galerieraum in Rom schnaubende Araber, bestand auf die unreduzierte physische Präsenz des Ungestümen, Wilden, Unbezähmbaren — oder welche Vorstellungen auch immer diese schwarzglänzenden Vollblüter unter barockem Deckengewölbe begleiten mögen. Kounellis' Arbeiten sind erstens und letztens nicht mit dem Verstand aufzuschlüsseln, noch zu beruhigen. So auch die ausgestellte Arbeit bei Menzel.
An die Wand ist eine massive Eisenplatte angedübelt. Links mit Tau umwickelt; an dessen losem Ende hängt ein Bleikrug. Zwischen Tau und Eisen steckt eine schwarze Lederschwarte. Rechts davon eine nichtbrennende Öllampe. Wer seinen Assoziationen folgt, entsprechende Verbindungen kombiniert, Erinnerungen wie Vorstellungen aktiviert, die möglichen metaphorischen und symbolischen Bedeutungen zu entschlüsseln sucht, Motiven nachspürt, macht aus dem Werk eine Chiffre, ein Rätsel. Wer Stilmerkmale, Materialverwendung, ikonographische Aspekte katalogisieren will, wird in so vielen Bereichen fündig werden, daß dieses buchhalterische Vorgehen im verzettelten Wahnsinn endet: das Unbegreifliche tat präzise seine Wirkung. Gewißheiten sind von Kounellis nicht zu erwarten. Es fördert regressive Neigungen, sucht eher das folgerichtige des »Magischen« als die Logik des Verstandes und der windigen Wendigkeit der Intelligenz, die mit Wissen disponiert. So weisen fast alle Arbeiten von Kounellis ins Vergangene, Vorzeitige oder Ahistorische. Eine ironische postmoderne Haltung ist dem pathetischen Ernst Kounellis« fremd.
Über die Notwendigkeit eines arbeitsfreien Jahres
Michelangelo Pistoletto machte 1968 eine Ausstellung mit Lumpen in den Ruinen von Amalfi. Er hatte ein kleines Monument errichtet. Lumpen, Steine, einen ausgelatschten Schuh. Als ästhetische Grenze und um Insekten abzuhalten, hatte er Pulver drumherum gestreut. Dann ging er weg. Als er nach Stunden wieder zurückkam, fehlte das Monument. Es waren Bekannte des Künstlers. Sie wollten Fußball spielen und brauchten Platz. Da räumten sie es weg. Pistoletto sagte nichts, »weil weder der Raum noch das kleine Monument mein Problem waren, es zählte nur die Erfahrung. Falls das kleine Monument aus Gold gewesen wäre, hätten sie anderswo Fußball gespielt.« Venus aus Gips ist mit Glimmerstaub angehaucht, steht in einer Stuckvilla und hat ihre Vorderseite einem Haufen abgelegter Kleider zugewandt. Die Liebesgöttin wendet sich ausgeblichenen Klamotten zu — und wer sie sieht, sieht ihren schönen Rücken, handzahmen Hintern, leichtgeneigten Nacken und diese Lumpen dahinter und drumherum.
Auch in der Installation bei Menzel kontrastiert er hierarchisch Unterschiedenes, bringt Auseinanderliegendes zusammen. Ein riesiges Poster von der Nacht der Maueröffnung im November hängt neben dem Standfoto einer Theateraufführung in Rom — Schauspieler tragen Häuser auf ihrem Kopf. In einer Video- Dokumentation informiert er über die Beweggründe und Notwendigkeit eines arbeitsfreien Jahres. Und baut eine kleine Mauer aus tuchüberzogenen Steinen; auf einer Seite liegen alte Kleidungsstücke. Im 'Tagesspiegel‘ simuliert der Kritiker (W.L.) Unschlüssigkeit darüber, ob sich der Berg farbiger Lumpen symbolisch auf die »Akteure und Aktivisten« der DDR-Revolution beziehe oder nicht. Und fügt dann hinzu: »Nur, dann müßten sie blasser und verwaschener sein.« Es ist die dummdreiste Triumpfgebärde des immerzu Knappverdieners, der im Outfit seine Identität verteidigt und erleichtert ist, wenn andere noch weniger haben.
»Grenzüberschreitung« heißt die Ausstellung. Eunuchen sollten über Sexualität schweigen und eilige Reporter über Kunst — vor allem wenn es sich um so weite Zeiträume und Horizonte handelt. Merz sondiert Geschichte vom Mittelalter bis in die Neuzeit, Kounellis die unkalkulierbare Kraft von Erinnerung und Vorstellung und Pistoletto träumt von einer Welt, in der es keine Hierarchien, nur noch Differenzen gibt. Peter Herbstreuth
Passagio di confine, Galerie Silvia Menzel, Mommsenstraße 67, di.-fr. 11-18.30 Uhr, Sa 10-14 Uhr, bis 13. Oktober.
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