: Guck da nicht hin!!
■ Das Kommunalkino Bremen zeigt in der Reihe „Kino wider die Tabus“ obszöne, subversive, blasphemische und perfide Anschläge auf Sehgewohnheiten / Über Sado-Maso, Fäkalien, Sodomie Religiöses / Einführung in die Reihe heute abend
„Die größte Schweinerei des deutschen Fernsehens“ - so stand es auf der ersten Seite der Bildzeitung zu lesen, nachdem im ARD-Kulturmagazin „TTT“ ein Geschlechtsverkehr mit einer gekreuzigten Frau zu sehen war: ein Happening des Aktionskünstlers Nitsch. Madonnas neues Video wird in den USA boykottiert und auch im öffentlich deutschen Fersehen nicht gezeigt, weil sie dort ein bißchen zu keck mit den christlichen Symbolen umgeht. Gegen Scorseses „Jesus„-Film gingen Tausende auf die Straßen, in Frankreich wurden wegen einer blasphemischen Äußerung von Isabelle Huppert in Chabrols „Eine Frauensache“ Kinos demoliert, und wenn sich in Bremen nochmal ein Kino an die Filme des Busenfetischisten Russ Meyer heranwagen würde, gäbe wohl wieder Senfsäure für die „Sexisten“.
Das Kommunalkino Bremen will mit einer Filmreihe Kino-Tabus auf die Leinwand und ans Bremer Publikum bringen, und bei den Tabus in den bewegten Bildern hat sich gar nichts geändert: Fast alle der in dieser Filmreihe gezeigten Werke wurden zu ihrer Zeit auch wütend angegriffen, beschlagnahmt und verboten.
Und auch die Zensurbehörde in
jeder von uns sagt - jeweils nach der eigenen Sensibilität, Neigung und Überzeugung: „Das gehört verboten - das ist ja ecklig - schau da nicht hin“, während andere die gleichen Bilder als befreiend , amüsant, harmlos oder attraktiv empfinden. Was die verschiedenen Filme der Reihe verbindet, ist aber die Energie, mit der die Filmemacher wie Pioniere diese abendteuerlichen, unerforschten Gebiete des Films bearbeiteten und besetzten. Immer spürt man die Kraft, die aufgebracht werden mußte, den der Filmemacher setzt sich ja auch immer mit seinen Tabus auseinander, muß seine eigenen Grenzen durchbrechen.
Nun braucht das Kommunalkino allerdings kaum mit Anschlägen oder Beschlagnahmungen zu rechnen, da alle gezeigten Filme ihre Schlachten schon hinter sich haben und außerdem die Auswahl der „Geschmacklosigkeiten“ mit solch gutem Geschmack getroffen wurde, daß sie auf dem Podest als „Klassiker der Filmkunst“ jetzt gegen alle Anfechtungen erhaben sind.
„Im Reich der Sinne“ von Nagisa Oshima (26. und 27. um 18.30 Uhr), über „die erotisch-sexuellen Verstrickungen eines Paares, dessen elementare Lei
denschaft im selbstgewählten Tod gipfelt“, gilt als der einzige künstlerisch überzeugende pornographische Spielfilm („Der letzte Tango“ wurde als Softporno disqualifiziert). „Viva la muerte“ des Avantgardeautoren Fernando Arrabal (17. und 18. um 18.45 Uhr) ist voller er
schreckender, halluzinierender Bilder, mit denen Wirklichkeit und Alpträume eines im Spanien von Francos Sieg lebenden Zwölfjährigen vermengt werden.
„Un chant d'amour“, ein 40 Minuten langer Film von Jean Genet, über die homosexuelle Lei
denschaft von in Einzelhaft gehaltenen Gefangenen, wird zusammen mit „Fireworks“ von Kenneth Anger - dem Klassiker des Schwulenfilms und „Jean Genet is Dead“ - der Hommage an Genet von Constantine Giannaris gezeigt (12. und 13., 23.00 Uhr). Zum Auftakt der Reihe spielt
heute und morgen „Das verbrecherische Leben des Archibald de la Cruz“ von Luis Bunuel. Die makabere Geschichte des Bürgers, der glaubt, durch eine Spieldose Macht über das Leben aller Frauen zu haben, dem es nie wirklich gelingt zu morden, aber der sich lustvoll an Phantasien ergötzt, etwa wie seine Frau in der Hochzeitsnacht erschossen wird, während sie vor dem Marienbild das „Ave Maria“ spricht. Am Montag abend wird der Filmtheoretiker Ulrich Gregor vor dem Film eine Einführung zur Reihe geben.
Auch alle Werke von Pasolini in der kleinen Retrospektive des Kommunalkinos sind „Filme wider die Tabus“, besonders aber der Kurzfilm „Der Weichkäse“ (23., 11.30 Uhr) der von Dreharbeiten bei einem Jesusfilm handelt, bei denen ein Komparse am Kreuz an einem zu schell verschlungenen Weichkäse stirbt.
Pasolinis „Salo“ führt im Mai die Reihe weiter, wie auch „Sodoma“ von Otto Mühl über seine berüchtigten „Materialaktionen“, ein Werk über Defäkation mit dem schönen Titel „Unverschämtheit im Grunewald“ und Thierry Zeno's „Vase De Noces“ von einem jungen Mann, der mit einem Schwein zusammenlebt, das ihm drei Ferkel gebiert. Madonna's schlimmer Videoclip wäre dazu ein ideales Vorprogramm.
Wilfried Hippen
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