Guatemala öffnet Militärarchive: Die Spur der Verschwundenen
Im Bürgerkrieg von Guatemala verschwanden rund 50 000 Menschen, die meisten vermutlich von der Armee ermordet. Nun verspricht Präsident Colom die Öffnung der Militärarchive.
Guatemalas Kriegsarchive werden geöffnet. Für die Bekanntgabe dieser Entscheidung wählte Präsident Álvaro Colom den Nationalen Gedenktag an die Kriegsopfer, der am Montag begangen wurde. Unter den Tausenden, die den historischen Schritt auf dem Hauptplatz von Guatemala-Stadt bejubelten, fanden sich zahlreiche Angehörige der Opfer, über deren Schicksal sie sich jetzt Aufschluss erhoffen.
Mehr als 200.000 Menschen wurden während des bewaffneten Konfliktes zwischen 1960 und 1996 getötet, 50.000 weitere fielen der perfiden Methode des "Verschwindenlassens" zum Opfer. 90 Prozent der Verbrechen seien auf das Konto der Armee oder der von ihr kontrollierten paramilitärischen Verbände gegangen. Nur 10 Prozent werden der Guerilla angelastet. So lauten die konservativen Schätzungen der Kommission für die historische Aufklärung (CEH). Sie wurde vom deutschen Völkerrechtler Christian Tomuschat geleitet. Die Kommission befragte zwischen 1994 und 1999 Zeugen und untersuchte Dokumente. Die wichtigsten Unterlagen aber, die im Armeearchiv schlummern, blieben bisher unter Verschluss. "Staatsgeheimnis" hieß es lapidar, auch noch lange nachdem die Militärs 1995 die formale Macht an Zivilisten abgegeben hatten.
Schon im Juli vergangenen Jahres hatte die spanische Justiz auf Antrag der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú die Öffnung der Archive verlangt. Ein Berufungsgericht in Guatemala schloss sich der Forderung an und wies eine von Exdiktator Efraín Ríos Montt eingebrachte einstweilige Verfügung zurück. Allein unter dessen 16 Monate währenden Gewaltherrschaft 1982/1983 wurden 626 Massaker in indianischen Gemeinden verübt. Manche der Dörfer verschwanden komplett von der Landkarte, der Feldzug gegen das Volk der Ixil wird von der UNO als Völkermord eingestuft.
In den letzten Jahren wurden bereits etliche Massengräber geortet und ausgehoben. In mühsamer Kleinarbeit versuchen Forensiker, die Gebeine und Überreste von Kleidungsstücken den Opfern zuzuordnen. Die geheimen Archive dürften die Suche nach weiteren Gräbern erheblich erleichtern. Vielleicht erfährt man auch endlich, was mit der kritischen Journalistin Irma Flacquer geschehen ist, die 1980 spurlos verschwand.
Der Sozialdemokrat Colom, der erst vor sechs Wochen vereidigt wurde, scheint sich gegen die Armeeführung durchgesetzt zu haben. Angeblich hat er deren Einverständnis. Für den Politologen Francisco García stellt die Ankündigung des neuen Präsidenten eine "Kehrtwende in der Geschichte und einen Schritt in Richtung Demokratie und Versöhnung" dar. Es fehlt aber nicht an Skeptikern, die meinen, die Armee würde sich schon Tricks einfallen lassen, um die Übergabe der heiklen Dokumente zu verhindern oder zu verzögern. Schließlich haben die Militärs bisher keinerlei Reue gezeigt und stehen nach wie vor zu ihrem Vernichtungsfeldzug gegen die soziale Basis der Guerilla.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!