"Guardian"-Chefredakteur über Medienkrise: "Das alte System ist kaputt"

"Guardian"-Chefredakteur Rusbridger sieht das traditionelle Zeitungsgeschäft am Ende - und lobt die Möglichkeiten des Bürgerjournalismus.

"Das alte System ist einfach zu teuer": britische Zeitung "The Guardian" mit Konkurrenz. Bild: ap

Sein Auftreten ist unspektakulär, die Stimme leise, das Hemd offen: Alan Rusbridger könnte man in einer Menschenmenge glatt übersehen, doch er ist einer der derzeit wichtigsten Journalisten der Welt: Als Chefredakteur des Guardian macht er vor, wie die gedruckte Zeitung und das World Wide Web zusammenpassen - und was das künftig für den Journalismus bedeutet.

"Keine Frage, wir haben heftige Zeiten vor uns", sagt Rusbridger bei einem Treffen im Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik: "Wir müssen uns darauf einrichten, künftig Journalismus mit weniger Leuten zu machen, und demütiger werden". Die alte Vorstellung vom Journalisten als allwissendem, beinahe autoritärem Gate-Keeper, der der Welt mitteilt, was er für sie für wichtig hält, sei in Wirklichkeit längst Geschichte - "auch wenn das noch nicht alle mitbekommen haben". Der Guardian setzt so schon seit zwei Jahren ganz bewusst auf eine große Gruppe nichtjournalistischer Kommentatoren, die seine Onlineseiten www.guardian.co.uk, aber auch immer wieder die Printausgabe bestücken. "Wir müssen das einfach in unsere Köpfe kriegen: Da draußen sind tausende Experten, ein wahrer Schatz an Informationen." Die, wie Rusbridger unumwunden zugibt, auch noch einen anderen Vorteil haben - längst nicht alle werden für ihre Beiträge auch bezahlt.

Die Klagelieder der Branche hält Rusbridger, dessen Blatt von der Guardian Media Group und der Stiftung Scott Trust querfinanziert wird, für müßig: "Journalisten müssen über die Entwicklung des Journalismus nachdenken, nicht über Businesspläne. Schon gar nicht dann, wenn wie jetzt niemand weiß, wie unsere Geschäftsmodelle künftig aussehen werden." Die Debatte, ob das traditionelle Zeitungsgeschäfts tatsächlich am Ende sei, ist für ihn längst beantwortet: "Da gibt es keinen Gesprächsbedarf mehr. Das alte System ist kaputt - und es ist heute einfach zu teuer."

Denn Geld verdient auch der Guardian keins, zumindest im Moment nicht. Und wie das liberale Blatt werden alle die anderen berühmten Londoner Titel mit durchgefüttert: Rupert Murdoch unterstützt seine Times durch die Einnahmen aus dem Boulevardzeitungsgeschäft, der konservative Daily Telegraph ist angeschlagen, der Independent steht gerade sogar zum Verkauf, weil der irische Ketchup-und-Medien-Clan OReilly kein Geld mehr nachschießen mag.

Doch die neue Medienwelt, zu der für Rusbridger selbstverständlich auch der Bürgerjournalismus gehört, enthält für den Guardian-Chef auch jede Menge Grund für Optimismus: Bei den G-20-Protesten in London starb der Zeitungshändler Ian Tomlinson, wie heute ermittelt wird, offenbar nach Übergriffen der Londoner Polizei. Nach den Demonstrationen war ein Video aufgetaucht, das zeigte, wie Tomlinson von einem Polizisten in Kampfmontur zu Boden geknüppelt wurde. "Dieses Video hat man nicht etwa einem TV-Sender, sondern uns angeboten, weil wir die offiziellen Angaben der Polizei hinterfragt haben", sagt Rusbridger. Und die Polizei müsse nun zu ihrem Entsetzen feststellen, dass bei den Protesten nicht nur die paar akkreditierten Journalisten, sondern "zehntausende Reporter dabei waren, die alle im Handy eine Kamera hatten".

Seit dem ersten Video sind Dutzende weiterer Videos aufgetaucht, die den Tod Tomlinsons zeigen und die Polizei in ernste Erklärungsnot bringen. "Das ist doch ein enormer Grund für uns als Zeitung, optimistisch zu sein", so Rusbridger: In Sachen Citizen Journalism gehe es nicht "um uns gegen die - sondern um uns plus die Bürgerjournalisten".

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