Guantánamo soll dichtgemacht werden: Tat Nummer eins
Der künftige US-Präsident Barack Obama will nach seiner Amtseinsetzung umgehend Guantánamo schließen. Das wäre ein bedeutendes Signal. Aber auch nicht mehr.
Die Schließung des berüchtigten Gefangenenlagers Guantánamo dürfte eine der ersten Amtshandlungen des neuen US-Präsidenten Barack Obama sein. Das ist mehr als eine konkrete Maßnahme - das ist vor allem ein Signal an seine Anhänger und an den Rest der Welt. Viele dieser Anhänger erwarten nämlich, dass nach dem 20. Januar kommenden Jahres die Welt eine andere und bessere sein wird. An diesem Tag wird der neue Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt werden.
Wenn auf jemandem so große Hoffnungen lasten wie auf Obama, dann muss er gleich zu Beginn mit einer eindeutigen Geste beweisen, dass es ihm ernst ist mit seinem Versprechen eines politischen Wandels. Sonst wird schon sein Amtsantritt von Enttäuschung und Verbitterung begleitet werden. Nun hat Obama also erkennen lassen, worin seine große Geste bestehen soll.
Verteidigungsminister Robert Gates, der unter dem neuen Präsidenten weiterhin das Pentagon leiten wird, dürfte den Auftrag, ein Konzept für die Schließung von Guantánamo zu erarbeiten, gerne erfüllen: Schon vor Monaten hat sich der 65-jährige Politiker dafür ausgesprochen, das Gefängnis zuzusperren. "Wir stecken in Guantánamo fest", sagte er im Mai bei einer Anhörung des Kongresses. Auch Obamas unterlegener Rivale John McCain hatte im Wahlkampf gesagt, er neige dazu, Guantánamo zu schließen.
Bei Licht besehen ist die große Geste des künftigen Präsidenten folglich gar kein Hinweis auf eine revolutionär neue, eigenständige Politik des Demokraten. Ein anderer Nachfolger von Präsident George W. Bush hätte vermutlich ebenso gehandelt wie Obama. Nicht nur wegen der scharfen Kritik von Menschenrechtlern an der Rechtlosigkeit der Gefangenen, sondern auch deshalb, weil mehrere Gerichtsurteile die gegenwärtige Praxis im Lager auf juristischem Wege aushebeln.
Die wohl wichtigste Entscheidung: Im Juni verkündete der Oberste Gerichtshof der USA, dass Insassen des Gefangenenlagers ihre Inhaftierung vor einem Zivilgericht anfechten können. Dieser Richterspruch steht in einem unauflöslichen Widerspruch zu der völkerrechtswidrigen Einstufung der Guantánamo-Häftlinge als "ungesetzliche Kombattanten", denen bislang sowohl die Rechte von Kriegsgefangenen als auch die von Strafgefangenen verwehrt blieben.
Menschenrechtsorganisationen werden die Schließung des Lagers begeistert begrüßen. Und die Nato-Verbündeten? Abwarten. Öffentlich haben führende europäische Politiker, sofern sie sich überhaupt zum Thema äußerten, die Verhältnisse in Guantánamo kritisiert. Ihre Taten sprechen jedoch eine andere Sprache: Geheime Gefangenentransporte der CIA starteten regelmäßig ungehindert von europäischen Flughäfen. Entlassene Guantánamo-Häftlinge, denen in ihren Heimatländern die Folter droht, finden nur selten Asyl in Europa.
Der neue Hoffnungsträger der SPD, Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, hat in der Regierungszeit von Gerhard Schröder über Jahre hinweg die Freilassung des gebürtigen Bremers Murat Kurnaz aus Guantánamo verzögert. Medienschelte musste er nicht fürchten. Auch die meisten deutschen Leitartikler bezeichneten gerne das als "Realpolitik", was sie in Ländern der Dritten Welt als Menschenrechtsverletzung geißeln.
Vieles spricht dafür, dass europäische Verbündete der USA dankbar für die Möglichkeit waren, die Schmutzarbeit im Kampf gegen den Terrorismus dem großen Bruder zu überlassen - und dafür eigene rechtsstaatliche Prinzipien opferten. Vieles spricht außerdem dafür, dass die große Geste, das Gefangenenlager zu schließen, vor allem symbolischen Charakter hat.
Immerhin: Auch symbolisches Handeln kann konkrete Folgen nach sich ziehen. Der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte im Dezember 2002 aggressive Verhörmethoden - lies: Folter - in Guantánamo genehmigt, diese Ermächtigung jedoch schon sechs Wochen später widerrufen. Dennoch wurden Häftlinge auch nach diesem Widerruf weiterhin misshandelt. Denn die Militärs hatten damals allen Grund, davon auszugehen, dass die politische Führung derartige Praktiken stillschweigend billigte.
Das stellt ein kürzlich veröffentlichter Bericht eines überparteilichen US-Senatsausschusses fest - ein Bericht, der der Einschätzung der New York Times zufolge die Möglichkeit strafrechtlicher Verfolgung von Rumsfeld eröffnet. Wenn das Militär nun nicht mehr glauben darf, dass die politische Führung menschenrechtswidrige Praktiken gutheißt, wird das ebenfalls Konsequenzen haben.
Aber was genau billigt Barack Obama und was nicht? Ist das berüchtigte "Waterboarding", bei dem Gefangene das Gefühl des Ertrinkens haben und das auch US-Militärs während der Ausbildung erdulden müssen, nun Folter oder nicht? Im Wahlkampf blieb Obama bei dieser Frage recht vage.
Die Schließung des Lagers in Guantánamo ist ein Signal, durchaus. Aber eben auch noch nicht mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels