Grundsicherung für Existenzgründer: Grundlos Anspruch auf Hartz IV
Die Bundesagentur für Arbeit will die Bezugsdauer von Hartz IV für Selbständige einschränken. Der Grund: Zu viele bekommen die Finanzhilfe, obwohl sie sie nicht brauchen.
BERLIN taz | In Deutschland sind immer mehr Selbstständige zusätzlich auf Hartz IV angewiesen. Von 2007 bis 2010 ist ihre Zahl um mehr als 50.000 auf etwa 125.000 im Jahresdurchschnitt angestiegen, teilte eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag mit.
Die BA betrachtet das Phänomen mit Sorge. Selbstständige könnten ihr Einkommen so herunterrechnen, dass sie Anspruch auf die Hilfe zum Lebensunterhalt hätten, obwohl sie auf das Geld nicht angewiesen seien. In den Jobcentern gebe es sogar immer wieder Firmeninhaber mit mehreren Mitarbeitern, die dennoch Hartz IV beantragen und erhalten würden.
Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der BA, sprach sich gegenüber der Süddeutschen Zeitung für eine Debatte darüber aus, ob sich die Bezugsdauer von staatlichen Grundsicherungsleistungen für Selbstständige zeitlich begrenzen lasse: "Der Steuerzahler kann nicht auf Dauer eine nicht tragfähige Geschäftsidee mitfinanzieren."
Alexander Herzog-Stein, Arbeitsmarktexperte der Hans-Böckler-Stiftung, hält dagegen eine Missbrauchsdebatte für gefährlich: "Hier werden ganze Personengruppen stigmatisiert - auf Basis weniger Einzelfälle." Die Bezugsdauer von Grundsicherungsleistungen für Selbstständige generell zu befristen, sei zu pauschal. "Wenn es keine Alternative auf dem Arbeitsmarkt gibt, dann ist es besser, sich als kleiner Selbstständiger etwas dazuzuverdienen", sagte Herzog-Stein.
Kümmerexistenzen, die gerade so über die Runden kommen
Angesichts der bisherigen Arbeitsmarktpolitik sei es außerdem wenig überraschend, dass es immer mehr Aufstocker unter den Selbstständigen gebe. Schließlich fördere die Politik seit 2005 Existenzgründer, die vorher arbeitslos waren. Oft handelt es sich gerade bei diesen Selbstständigen um Kümmerexistenzen, die mit ihrem Geschäft gerade so über die Runden kommen oder zusätzliche Hilfe vom Staat benötigen.
Viel Lärm um nichts also? Nicht ganz. Dass unter den Aufstockern auch Selbstständige mit Mitarbeitern sein sollen, beunruhigt auch Herzog-Stein. Hier sei die Politik gefragt. "Jobcenter und Finanzämter sollten im erforderlichen Umfang zusammenarbeiten dürfen, um Missbrauch zu verhindern."
Im Bundesarbeitsministerium sieht man derzeit keinen Handlungsbedarf: Es gebe "keine Überlegungen, die Rechtslage zu ändern", sagte eine Sprecherin zur taz. Auch die FDP sieht dafür keinen Bedarf. Das Problem ist auch verhältnismäßig klein: Von 1,3 Millionen Aufstockern sind gerade einmal 125.000 selbstständig - das ist knapp ein Zehntel.
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