Grundsatzurteil zu Kinderbetreuung: Richterliche Hilfe zur Kita-Selbsthilfe
Wer sein Kind privat betreuen lassen muss, weil die städtischen Kitaplätze nicht reichen. hat das Recht auf Schadenersatz, urteilt das BVG.
LEIPZIG taz | Eltern können sich die Kosten einer selbstorganisierten Kinderbetreuung von der eigentlich zuständigen Kommune erstatten lassen. Das entschied gestern das Bundesverwaltungsgericht in einem Grundsatzurteil. Eine rheinland-pfälzische Lehrerin bekommt jetzt rund 2.200 Euro zurück.
Der konkrete Fall spielt in Mainz. Sabine K. war im Jahr 2011 Referendarin im Schuldienst. Für ihre damals zweijährige Tochter beantragte sie bei der Stadt einen Kitaplatz, doch die Stadt reagierte nicht. Auch rund 30 private Kindergärten ließen die junge Pädagogin abblitzen. Erst eine private Elterninitiative nahm das Mädchen dann in Obhut.
Als Sabine K. von der Stadt die Kosten – rund 400 Euro/Monat – einklagte, ging es schnell. Nur einen Monat später hatte sie den erwünschten städtischen Kita-Platz. Die Kosten für die rund halbjährige Übergangslösung wollte die Stadt Mainz freilich nicht übernehmen. Für eine derartige Kostenerstattung gebe es keine gesetzliche Grundlage, erklärten die Juristen der Stadt.
Damit wollten die Gerichte die Stadt Mainz aber nicht wegkommen lassen. Vom Mainzer Verwaltungsgericht über das OVG Koblenz bis jetzt zum Bundesverwaltungsgericht entschieden alle Instanzen für Sabine K. und ihre Tochter. Die richterliche Begründung für den rechtlichen Erstattungsanspruch war allerdings jeweils eine andere. Die Leipziger Richter legten nun eine Bestimmung aus dem Sozialrecht analog aus (Paragraph 34a SGB VIII).
Vorherige Betreuungsplatzklage nicht nötig
Damit ist nun auch geklärt, dass Eltern Kostenerstattung auch dann erhalten, wenn sie vorher keinen Betreuungsplatz eingeklagt haben, so der Vorsitzende Richter Jürgen Vormeier. Es genüge, wenn sie die zuständige Kommune auf den Bedarf hingewiesen haben und die Bereitstellung einer Betreuung „keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat“.
Das Urteil gilt direkt nur für Rheinland-Pfalz, wo schon seit 2008 ein landesrechtlicher Anspruch auf einen Kita-Platz besteht. Die Grundsätze sind aber, so Richter Vormeier, auf den bundesgesetzlichen Kita-Anspruch, der seit August 2013 gilt, übertragbar.
Da die Stadt Mainz Sabine K. zunächst gar keine Angebote machte, konnte das Urteil nicht klären, aus welchen Gründen Eltern ein Angebot ablehnen können, etwa weil die Kita zu weit vom Wohnort entfernt ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern