Grundsatzrede von Denver: Obama gibt den King
40 Millionen Fernsehzuschauer sollen sie verfolgt haben: die Rede des demokratischen Präsidentschaftskandidaten. Erwartet wurde, dass Obama endlich sagt, wie er die USA verändern will.
DENVER taz Es sei der große Tag ihres Lebens, sagt Eleanor Johnston und schluckt schnell. Die ältere schwarze Dame sitzt im Block der Delegierten von Alabama und hat zur Feier eine weiße Rüschenbluse angezogen. Vorne, auf der Bühne des Footballstadions von Denver, spricht gerade Martin Luther King III. Er ist der Sohn des großen Martin Luther King und erinnert unter tosendem Beifall daran, wie sein Vater auf den Tag genau vor 45 Jahren vor 200.000 Menschen ausrief: "I have a dream." Und heute sei wieder so ein Tag, sagt die demokratische Delegierte aus dem tiefen Süden der USA. Barack Obama werde zu ihnen sprechen, als erster schwarzer Mann, der eine echte Chance hat, Präsident des mächtigsten Landes der Welt zu werden. Nein, das ist zu viel, schnell muss ein Taschentuch her.
Doch ergriffen sind eigentlich alle der gut 80.000, die den Weg ins Stadion gefunden haben. Als Obama bei Sonnenuntergang die Bühne betritt, kann er minutenlang nicht zu sprechen beginnen, so heftig ist der Applaus. "Mit tiefer Dankbarkeit und großer Demut akzeptiere ich die Nominierung für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten", lauten seine ersten Worte.
46 Minuten lang wird er sprechen, über sich, über die USA, über die Probleme und ihre Lösung. "Amerika, wir sind besser als diese letzten acht Jahre!", ruft er und hält kurz inne, um Anlauf zu nehmen zu einer von viel Pathos getragenen Attacke gegen seinen Konkurrenten John McCain, die Republikaner und George W. Bush. "Wir lieben dieses Land zu sehr, als dass wir die kommenden vier Jahre aussehen lassen dürfen wie die vergangenen acht", sagt Obama. Es sei keine Zeit mehr "für kleine Pläne".
Amerika müsse endlich den Menschen ohne Arbeit und in wirtschaftlicher Not, den allein gelassenen Kriegsveteranen und den Familien und Kindern, die keine Krankenversicherung haben, beistehen. Zwar, so Obama weiter, sei eine Regierung nicht für alle Missstände verantwortlich, wohl aber müsse der Staat Verantwortung für das übernehmen, was der Einzelne nicht bewerkstelligen könne. Der Präsidentschaftskandidat bekräftigt damit einen Glaubenssatz der Demokraten, und er listet die Bereiche auf, für die er gilt: Sicherheit, Bildungs- und Jobchancen, sauberes Wasser, Wissenschaft und Technologie.
Das sei das Versprechen, das er Amerika gebe. Es sei "die Idee, dass wir für uns selbst verantwortlich sind, aber dass wir auch gemeinsam aufsteigen oder fallen, als eine Nation".
Und dann folgt wieder eine Attacke auf den republikanischen Konkurrenten. Wie könne McCain behaupten, unabhängig zu sein, obwohl er in über 90 Prozent aller Abstimmungen die Beschlüsse der Bush-Administration befürwortete. Dieser Satz Obamas gehört mittlerweile zum festen Arsenal der Demokraten. Alle Redner des Parteitags haben ihn in ihre Reden eingebaut.
Damit ist die Stoßrichtung des bevorstehenden Wahlkampfs klar: John McCain ist nur ein Bush 2.0. Obama wird dem Gegner an diesem Abend rhetorisch elegant alle krassen Fehler der amtierenden Administration um die Ohren hauen: von der Befürwortung des Krieges im Irak bis hin zur Großmäuligkeit, wenn es um die Jagd auf Ussama Bin Laden geht.
Obama hält wieder einmal eine hervorragende Rede. Seine Beste ist es nicht, denn es fehlt ihr die Poesie, die andere Reden so einzigartig machte. Doch diesmal wurde ja auch eine Grundsatzrede von ihm erwartet.
So lässt Obama keinen Zweifel an seiner "Commander-in-Chief-Reife". Denn hier sehen die Republikaner seine Achillesferse. Daher sagt Obama: "Ich werde niemals zögern, diese Nation zu verteidigen", aber - so verspricht er - er werde die Truppen nur mit einer klaren Mission und ausreichender Ausrüstung in die Gefahr entsenden. Er kündigt an, "Partnerschaften für das 21. Jahrhundert" zu schmieden, und zwar mit Nationen, die helfen, Terrorismus, Proliferation, Armut, Genozid und Klimaerwärmung zu verhindern.
Zum Schluss zitiert Obama Martin Luther King. "Wir können nicht allein gehen", habe der gesagt. "Wir können nicht zurückfallen, und nur vereint kann der Traum wahr werden." Der tobende, rauschende Applaus, der folgt, war Obama von Anfang an gewiss. Vier Tage bestens choreografierter Agitation haben ihre Wirkung getan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!