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Grundsätze der BundesärztekammerSterbehilfe nicht mehr per se unethisch

Die Bundesärztekammer liberalisiert ihre Grundsätze zur Sterbebegleitung. Die ärztliche Beihilfe zum Suizid wird nicht mehr grundsätzlich verurteilt.

Wann ist Sterbehilfe legitim? Die Bundesärztekammer hat versucht, eine der umstrittensten Fragen zu beantworten. Bild: krockenmitte/photocase.com

BERLIN taz | Die Schmerzen des Tumorpatienten sind unerträglich. Selbst die Palliativmedizin, die nicht mehr auf Heilen setzt, sondern nur auf die Linderung physischen wie psychischen Leidens, stößt an ihre Grenzen. Ist es in einem solchen Fall gerechtfertigt, Ärzten, die dem Patienten bei dem von ihm gewünschten Suizid behilflich sind, "unethisches" Handeln vorzuwerfen?

Es ist eine der umstrittensten Fragen, auch unter Ärzten. Die Bundesärztekammer hat sie nun zu beantworten versucht. Am Donnerstag legte ihr Präsident Jörg-Dietrich Hoppe in Berlin die überarbeiteten Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung vor. Danach ist "die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe". Sie wird aber auch nicht mehr grundsätzlich verurteilt.

Bislang hatte es in den Grundsätzen, die keine Rechtsverbindlichkeit haben, aber moralische Orientierung bieten sollen, geheißen: Die ärztliche Mitwirkung "widerspricht dem ärztlichen Ethos".

Der Wechsel von der wertenden zur deskriptiven Formulierung ist keine Petitesse. Er erkenne "die differenzierten Moralvorstellungen von Ärzten in einer pluralistischen Gesellschaft" an, sagte Hoppe. 30 Prozent der Ärzte seien bereit, Schwerstkranken Suizidhilfe zu leisten. Die Patientenorganisation Deutsche Hospiz Stiftung kritisierte, die Abschaffung des ärztlichen Ethos lasse Mediziner bei Gewissensentscheidungen allein.

Hoppe versuchte, dem Eindruck der Liberalisierung entgegenzutreten. Weiterhin werde jeglicher Form der Tötung eine klare Absage erteilt. Aber: "Wenn Ärzte mit sich im Reinen sind, brechen wir nicht den Stab über sie." In der ärztlichen Berufsordnung, die von den Ärztekammern bis zum Sommer beraten werden soll, könnte dies jedoch anders ausgelegt werden.

95 Prozent der Fälle, in denen bei Patienten Suizidgedanken aufkämen, seien auf behandelbare Begleiterkrankungen wie Depressionen zurückzuführen. Hoppe: "Zur Sorgfaltspflicht des Arztes gehört, diese Krankheit zu erkennen und zu behandeln." Viele Patienten hätten danach keinen Todeswunsch mehr.

Umfragen zufolge lehnen vor allem Ärzte mit langjähriger Erfahrung im Umgang mit Sterbenden den assistierten Suizid ab: Wenn Palliativmedizin ordentlich angewendet werde, dann sei die Selbsttötung keineswegs das Mittel der Wahl für ein Sterben in Würde.

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2 Kommentare

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  • H
    Hotelier

    Den Tagen mehr Leben geben!

    Nicht zu vergessen die Hospizbewegung. Im Hospiz werden sterbenden Menschen die letzten Wochen oder Tage ihres Lebens erträglich gemacht!

     

    Der Fernsehjournalistin und Autorin Dörte Schipper ist hier ein bemerkenswert spannendes und überraschendes Buch gelungen über das Sterben – und das Geheimnis eines erfüllten Lebens. Dem Buch vorausgegangen ist eine Fernsehdokumentation in der ARD (Der Luxuskoch vom Hospiz), für die die Autorin mit dem Erich-Klabunde-Preis ausgezeichnet wurde.

     

    Dörte Schipper

    DEN TAGEN MEHR LEBEN GEBEN

    Vorwort von Udo Lindenberg

    Bastei Lübbe Verlag

    ISBN 978-3-7857-2385-2

     

    "Ich definiere mich als Koch nicht mehr darüber, wie viel gegessen wird, sondern, ob ich die Menschen damit erreiche." Früher war er Küchenchef in einem Nobelrestaurant. Heute kocht er im "Leuchtfeuer", einem Hamburger Hospiz. Die meisten seiner Gäste haben Krebs im Endstadium.

    Ob Steak, Labskaus, Coq au Vin oder eine aufwändige Torte, Ruprecht, der Koch, erfüllt jeden kulinarischen Wunsch. Tagtäglich erlebt er aufs Neue, wie wichtig es den Bewohnern im Hospiz ist, noch einmal ihre Lieblingsgerichte genießen zu können. Kräuter, Gewürze, den individuellen Geschmack zu treffen, ist für den Koch nicht immer leicht. Oft geht es nur um Nuancen, und er braucht mehrere Anläufe. "Wenn ich es schaffe, ein Essen genau so zu kreieren, wie ein Sterbenskranker sich das vorgestellt hat, kann ich mich jedes Mal aufs Neue darüber freuen."

     

    Seit der Gründung des Hospizes vor elf Jahren ist der Koch sein eigener Chef de Cuisine in einem Zuhause für Todkranke. Mitten in St. Pauli bietet das Hospiz Platz für elf Bewohner. Die meisten leben hier nicht länger als ein paar Wochen. In der Eingangshalle hängt in großen Buchstaben der Leitspruch des Hauses: "Wir können dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben." Diese Worte hat der Koch verinnerlicht. Das Leben der Kranken verlängern kann er nicht, es versüßen schon. Vor elf Jahren, als er den Job annahm, wurde er öfters gefragt, ob es nicht absurd sei, für Todkranke zu kochen. Er selbst hat sich diese Frage nie gestellt. Die Bedeutung, die Essen haben kann, ist ihm durch die Arbeit im Hospiz immer klarer geworden. Seine Erkenntnis klingt so einfach, fast banal: "Essen heißt, ich lebe noch!"

    Der Job ist einzigartig, seine Motivation auch. Viele Jahre hat er in der gehobenen Gastronomie gearbeitet. Als Spitzenkoch hätte er weiter Karriere machen können ... Doch seine Arbeit hat ihn nicht befriedigt, er vermisste den Kontakt zu den Menschen, die er bekochte. Im Hospiz zu arbeiten ist für ihn wie ein Sechser im Lotto – nicht finanziell, aber menschlich betrachtet.

     

    Rolf Führing hat Bauchspeicheldrüsenkrebs. Nach wochenlanger Appetitlosigkeit im Krankenhaus, wird er schon am ersten Tag im Hospiz Ruprechts hungrigster Gast. Seitdem Horst Reckling im Hospiz ist, möchte er immer nur seinen Lieblingsquark. Erst seit neun Jahren ist er mit seiner geliebten Beate verheiratet. Die Beiden hätten sich so gerne noch etwas mehr Zeit miteinander gewünscht.

    "Es mag verrückt klingen", sagt Gudrun Fischer, "aber ich verbringe jetzt am Ende meines Lebens Ferien wie in einem Grandhotel. Mit fast allem, was Freude bereitet." Ausgerechnet ihr, die sie ihr Leben lang gut und gerne aß, drückt ein riesengroßer Tumor auf den Magen.

    Vor vier Monaten zog es Renate Sammer den Boden unter den Füßen weg: Lungenkrebs im Endstadium. Ihr Leben lang hatte sie sich alleine durchgeboxt, jetzt plötzlich ist sie von anderen abhängig. Den Koch schließt sie ins Herz. Sein Steckrübenmus ist ein Gedicht.

    Für eine kurze Zeit werden die Todkranken für den Hospizkoch vertraute Gesichter.

    Er erfährt einen kleinen und gleichzeitig letzten Ausschnitt ihres Lebens. Die Bewohner erzählen von sich, ihrer Vergangenheit, ihrem Umfeld, ihren Sorgen, Ängsten und Freuden. Über das Essen wird Ruprecht Schmidt ihr Vertrauter, ein außergewöhnlicher Sterbebegleiter.

    Mit dem Einzug ins Hospiz rückt für die sterbenskranken Menschen das Endgültige immer näher. Vorbei mit: "Das kann ich noch nächstes Jahr machen." Es gilt nur noch das Heute und Jetzt. So unterschiedlich, wie sie gelebt haben, gehen die Menschen auch mit der Gewissheit um, bald sterben zu müssen. Viele fühlen sich wie zu Hause und gut aufgehoben in der familiären Atmosphäre des Hospizes. Einige fühlen sich abgeschoben und lassen ihren Frust genau an den Menschen aus, die sie am meisten lieben. Für die einen ist der Tod ein Tabu, andere reden pausenlos über das Sterben – mit schwarzem Humor, Ironie, oder abgeklärt und nüchtern. Manche finden Trost in der Religion, manche im Sarkasmus. Begriffe wie Harmonie und Dankbarkeit werden plötzlich wichtig. Zwischenmenschliche "Baustellen", die schon seit Jahren gären, sollen unbedingt noch schnell bereinigt werden. Es können sich aber auch neue auftun. Verhalten, Wünsche und Gedanken der Menschen verändern sich, je näher der Tag rückt. Wer heute noch Scherze macht, kann morgen unendliche Angst haben, verbittert sein oder umgekehrt.

    Trotz der extremen Gefühlsschwankungen, zeigt sich bei den Bewohnern eines durchgehend: Auch wer unwiderruflich weiß, seine Tage sind gezählt, kann noch genießen, lachen und Momente des Glücks erleben.

     

    Lebensbejahend, wie die Atmosphäre im Hospiz, ist auch das Buch. Es erzählt über einen außergewöhnlichen Koch und die Lebensgeschichten seiner Gäste.

  • F
    FAXENDICKE

    In Deutschland ist das alles nur eine Frage des ökonomischen Drucks. Sofern die Pharmamafia weiterhin mit Scheininnovationen die Preise von Krankenbehandlungen, aus reiner Gewinnsucht, ins astronomische treibt, wird Sterbehilfe ähnlich gehandhabt wie zum Beispiel in der Schweiz oder den Niederlanden. Dem Bericht zufolge findet ja bereits ein Umdenken und Einlenken statt. Ich persönlich würde mir im Falle des Falles auch lieber ein adäquates Mittel vom Arzt geben lassen, als mir irgendetwas auf dem Schwarzmarkt zu besorgen.