piwik no script img

Grünes Rad nicht neu erfunden

Papier junger Bündnisgrüner sorgt auch in Hamburg für Diskussionen. „Projekt GAL von morgen“ heute im Parteivorstand  ■ Von Sven-Michael Veit

Die Zufriedenheit in seiner Stimme ist nicht zu überhören. „Viele gute Ansätze“ seien in dem Papier enthalten, sagt Peter Schaar. Er halte es für „einen guten Anstoß für die unumgänglichen parteiinternen Debatten über das grüne Selbstverständnis“. Das Lob des Hamburger GAL-Parteichefs gilt dem siebenseitigen Diskussionspapier „Bündnis 90/Die Grünen haben eine zweite Chance verdient“, das gestern veröffentlicht wurde.

Darin fordern 40 junge Bündnisgrüne, darunter die Bundestags-Abgeordneten Matthias Berninger und Cem Özdemir, den bundesweiten Bruch mit überkommenen Alt-68er-Traditionen der Partei und sogar die teilweise Auswechslung der Mitglieder (taz berichtete gestern).

Mit diesem Punkt, sagt Schaar, könne er nicht übereinstimmen. Insgesamt aber sei die nun einsetzende bundesweite Diskussion für die GAL nur von untergeordneter Bedeutung: „Wir haben diesen Differenzierungs- und Klärungsprozeß in Hamburg ja kürzlich bereits weitgehend vollzogen“, meint Schaar mit Blick auf die Abspaltung von fünf linken Bürgerschafts-Abgeordneten sowie gut drei Dutzend weiterer Mandats- und Funktionsträger auf Bezirksebene. Die hatten nach dem Kosovo-Beschluß der Bündnisgrünen am Himmelfahrtstag in Bielefeld die Partei verlassen und haben sich inzwischen in der „Gruppe Regenbogen – Für eine neue Linke“ eine neue politische Heimat gegeben.

Die linke Partei-Sprecherin Kordula Leites kann die Einschätzung ihres Realo-Kollegen nur bedingt teilen: „Es ist ein Irrtum zu glauben, Parteiobere könnten sich ihre Basis schnitzen.“ Positiv sei der durch das Papier erbrachte Beweis, daß „die Grünen eben keine Ein-Generationen-Partei sind“. Allerdings weise es „Rückfälle in alte Konfliktmuster“ auf. Mit „Schuldzuweisungen“ an Alt-68er und Bewegungsgrüne würde nur ein „wenig origineller Streit reproduziert“.

Im Prinzip hält Leites aber „viele Gedanken für richtig und diskussionswürdig“. Zwar sei die geforderte Besinnung auf Kernthemen wie Ökologie, Frauenpolitik oder Soziale Gerechtigkeit keine Neuerfindung des grünen Rades; aber unerläßlich sei es selbstverständlich, „sachlich darüber zu diskutieren, wie diese richtigen Ansätze in der grünen Partei der Zukunft besser zu präsentieren sind“.

Eitel Freude über den geforderten grünen Generation-Move will hingegen Hardcore-Realo Kurt Edler nicht verhehlen: „Es ist bissig und scharf und durchdacht“, und es stelle „dieses alte linksautoritäre Menschenbild in Frage“, das so viele strukturkonservative Linke in der Partei noch immer hätten. Zu denen bei Gründung der GAL vor gut 20 Jahren auch der damalige Ober-Fundi Edler gehörte.

Das sei ein „inzwischen überholter Politikansatz“, sagt Edler heute und verweist auf das von ihm mitinitiierte Projekt „GAL von morgen“. In diesen Diskussionsgruppen, die ihre Ergebnisse heute abend dem Landesvorstand der GAL vorstellen werden, gebe es „viele Übereinstimmungen“ mit dem Berninger-Özdemir-Papier.

So sieht es auch Rachel Jacobsohn, die für die grüne Jugend im Landesvorstand sitzt. Es decke sich weitgehend mit den Positionen der Grünen Jugend: „Die Problemanalyse und die skizzierten Lösungsansätze finde ich echt gut.“ Einen Punkt will die Abiturientin aber nicht unterstützen: „Man darf niemanden ausschließen. Die Alt-68er sollen nicht gehen, sondern mit uns gehen in die GAL von morgen.“

Die „nun auch offiziell ein FDP-Ersatz werden soll“, konstatiert Norbert Hackbusch vom Regenbogen. Er hält das Papier für „fast schon tragikomisch in seiner Analyse“. Die Autoren hätten die Niederlage bei der Hessen-Wahl im Februar völlig ausgeblendet: „Dieses Desaster“, so Hackbusch, „trat ja nicht wegen der Linken in der grünen Partei ein, sondern trotz der Linken.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen