Grünes Promi-Schaulaufen in Berlin: Künasts krampfiger Kampf
Winfried Kretschmann gibt seiner Parteifreundin Renate Künast Schützenhilfe im Wahlkampf. Die vergleicht sich mit Joschka Fischer - und will bis zur letzten Minute kämpfen.
![](https://taz.de/picture/253655/14/KuenastKretschmann.jpg)
BERLIN taz | Eigentlich will Winfried Kretschmann seiner Parteikollegin keine Tipps geben. Aber als sie sagt, sie werde am Wahlsonntag bis zur letzten Minute um den Sieg kämpfen, tut er es doch. "Kämpfen würde ich sonntags maximal bis 12 Uhr." Dann entspannen und schauen, was kommt. Kretschmann lehnt sich zurück und lächelt.
Damit ist schon viel über den Kampf von Renate Künast gesagt. Im September wählt die Hauptstadt, sie will Regierende Bürgermeisterin werden. Die Grüne rackert und rackert, doch kommt sie nicht gegen den aufreizend lässigen Klaus Wowereit (SPD) an. Als sie sich am Freitag mit dem Ministerpräsidenten Baden-Württembergs in der Bundespressekonferenz auftrat, offiziell zu Kretschmanns 100-Tage-Bilanz, schwebte nur eine Frage im Raum: Ist Künasts Versuch, seinen Erfolg in Berlin zu wiederholen, zum Scheitern verurteilt?
Es ist voll und stickig im Saal. Künast und Kretschmann kommen herein, setzen sich, verschwinden minutenlang hinter einer Wand von Fotografen. Das Interesse ist groß - an Kretschmann. Ihn fragt die britische Journalistin an, von ihm will ein Japaner etwas zu Atomkraftwerken wissen, er erntet Lacher, als er damit kokettiert, "als Provinzpolitiker" nach Berlin eingeladen worden zu sein. Von Künast will erstmal niemand was.
Während er antwortet, rutscht sie ab und zu auf dem Stuhl hin und her. Sie muss auch reden. Vor wenigen Monaten schien es auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Grünen und SPD in der Hauptstadt hinauszulaufen, inzwischen liegen die Sozialdemokraten in Umfragen mit neun Prozentpunkten vorn. "Klar, ich hätte gerne bessere Umfragen", sagt die Herausforderin dann endlich. "Aber ich bin Fischer-Schule." Will heißen: Joschka Fischer pfiff auf Umfragen. So sieht sich Künast: als Kämpferin, die bis zum Schluss durchzieht.
Die Basis fürchtet Schwarz-Grün
So wie es jetzt aussieht, kann sie nur in einer Koalition mit der CDU ihr Ziel erreichen, die Stadt zu regieren. Auf diese Frage lauern alle Journalisten - und ausgerechnet da passiert ihr ein Freudscher Versprecher. "Die größten Schnittmengen haben wir mit der CD …", antwortet Künast. Stockt. Schiebt nach: "… äh, mit der SPD." Es ist ihr Problem, dass Mutmaßungen über ein solches Bündnis zunehmen, je weiter die SPD vorn liegt.
Denn ein Bündnis mit dem provinzell tickenden CDU-Landesverband ist für viele Grüne und ihre Wähler nach wie vor eine Schreckensvorstellung - auch wenn die Parteiführung eine solche ohne mit der Wimper zu zucken machen würde. Hinzu kommt, dass eine Serie von Autobränden den Christdemokraten in letzter Minute ein Thema verschafft hat. Mit dilettantisch anmutenden Plakaten wollen sie insinuieren, der rot-rote Senat gehe zu weich gegen Brandstifter vor.
Künast nennt die populistische CDU-Aktion "unanständig". Die Polizei mache gute Arbeit, Berlin brauche keine Bundespolizisten, "die dann gar nicht wissen, an welcher Kreuzung sie stehen." Da blitzen ihre Qualitäten auf: Mit wenigen Worten rückt sie kühl eine Debatte zurecht, die in Berlin teils irrwitzig geführt wird. Solche Analysen würde man vom Regierenden Wowereit auch erwarten.
Berlins Grüne haben jetzt das Wort "Mitsprache-Stadt" erfunden, um den Amtsinhaber doch noch zu gefährden. Online dürfen Bürger auf Probleme hinweisen, dann kommt Künast vorbei. Als Regierende, würde sie Mitsprache organisieren, verspricht sie. "Der Senat hält Wasserverträge geheim. Solche Daten und Fakten gehören in die Stadt." Auch wenn Künast betont, Baden-Württemberg lasse sich mit Berlin nicht vergleichen, scheint hier die Strategie durch: Von Kretschmann lernen heißt vielleicht doch siegen. Bei Umfragen, sagt der noch, gebe es eine einfach Regel: "Von den Guten lässt man sich beflügeln, die Schlechten ignoriert man." Künast wird es beherzigen.
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