Grüner Parteitag in Dortmund: "New Deal" soll Europa erneuern
Auf dem Europa-Parteitag haben die Grünen einen ökosozialen Politikwechsel eingeleitet. Mindestlöhne und Investitionen in Klimaschutz sollen die Finanzkrise bekämpfen.
Mit einen klaren Bekenntnis zur europäischen Integration starten die Grünen in ihren Europawahlkampf. "Wir Grüne wollen Europa", betonte Parteichef Cem Özdemir auf der Bundesdelegiertenkonferenz am Wochenende in Dortmund. Die Delegierten beschlossen das Parteiprogramm und die Kandidatenlisten für die Europawahl im Juni 2009.
Bei aller Kritik an zu viel Bürokratie sichere nur die Europäische Union (EU) den Frieden in Europa. Dieses Motiv zog sich immer wieder durch die Reden der Kandidaten.
Schon zu Beginn des Parteitags hatten die über 700 Delegierten den luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker mit Standing Ovations bedacht: Der Christdemokrat hatte in seinem Gastbeitrag an die Folgen der Weltkriege und die Bedeutung der EU erinnert.
Inhaltlich forderten die Delegierten einen sogenannten New Green Deal, mit dem nicht nur die Finanzkrise, sondern gleich auch noch Klimawandel und Armut bekämpft werden sollen. Die Finanzkrise biete "die Chance, in ökologischen und sozialen Umbau" zu investieren, heißt es in dem Leitantrag des Bundesvorstands, der mit überwiegender Mehrheit angenommen wurde.
Dazu soll Europa bis spätestens 2050 ohne Kohle, Öl und Atomkraft mit Energie versorgt werden. Gleichzeitig erneuerte die Partei ihre Forderung nach einem Tempolimit. Außerdem wollen die Grünen für europaweite Mindestlöhne und die Reregulierung der Finanzmärkte eintreten: "Wir müssen sicherstellen, dass in Zukunft solche Abzockverträge, wie sie die Banken gemacht haben, nicht mehr abgeschlossen werden dürfen", sagte die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast.
In der Krise sei eine "zusätzliche Verschuldung" nötig, forderten viele Delegierte. Zuvor hatte der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Alexander Bonde seinen Antrag, in dem er eine stärkere Schuldenbremse gefordert hatte, doch zurückgezogen.
Im Europäischen Parlament soll vor allem Sven Giegold die Reregulierung der Finanzmärkte durchsetzen. Der 39-Jährige ist Mitgründer der deutschen Sektion des globalisierungskritischen Netzwerks Attac. Er wurde mit nur einem Gegenkandidaten von 73,2 Prozent der Stimmen auf die Europaliste gewählt.
Weniger erfolgreich war dagegen die zweite Vertreterin einer außerparlamentarischen Bewegung, mit der sich die Grünen von ihrem Image als Regierungspartei distanzieren wollten: Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. Lochbihler ist erst seit Juni 2008 Parteimitglied. Sie wirkte bei ihrer Vorstellungsrede unsicher und scheiterte im Kampf um Platz drei gegen Heide Rühle, die die Grünen bereits seit 1999 in Brüssel und Straßburg vertritt. Lochbihler wird trotzdem über den Listenplatz fünf ins Europäische Parlament einziehen.
Ohne Gegner nominiert wurden dagegen Spitzenkandidatin und -kandidat: Auf Platz eins steht wie bereits vor fünf Jahren Rebecca Harms. Für die amtierende Fraktionsvize der Grünen in Brüssel stimmten 80,4 Prozent der Delegierten. Noch besser schnitt der ehemalige Bundesparteichef Reinhard Bütikofer ab - der Realo erhielt 81,7 Prozent der Stimmen.
Insgesamt traten in dem über elfstündigen Wahlmarathon über 50 Kandidaten und Kandidatinnen an. Die grüne Europawahlliste hat insgesamt 30 Plätze, aber es wird wohl nur etwa die Hälfte ins Europäische Parlament einziehen. Bei der Europawahl 2004 jedenfalls hatten die Grünen 11,9 Prozent erreicht und waren letztendlich mit 13 Abgeordneten in Brüssel und Straßburg vertreten.
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