Grüner Kulturpolitiker zur Volksbühne: „Dercons Konzept funktionierte nicht“
Die Trennung vom umstrittenen Volksbühnen-Intendanten ist ein „Befreiungsschlag“, auch für Dercon selbst, sagt Daniel Wesener (Grüne).
taz: Herr Wesener, die Ära Chris Dercon ist nach nicht mal einer Theatersaison vorbei. Überrascht?
Daniel Wesener: Ich empfinde diese einvernehmliche Trennung als einen Befreiungsschlag, vermutlich auch für Chris Dercon selbst, vor allem aber für die Berliner Kulturpolitik. Die Debatte der letzten Monate war für alle Beteiligten belastend.
Also das berühmte Ende mit Schrecken, das besser ist, als ein Schrecken ohne Ende?
So kann man das auch formulieren. Jetzt muss aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt werden. Es ist ja nicht allein Chris Dercon, der gescheitert ist, sondern auch eine alte Kulturpolitik, die meinte, in Hinterzimmern einsame Entscheidungen über die Besetzung von Intendanzen treffen zu können.
Dercon wurde in der vergangenen Legislaturperiode vom damaligen Auch-Kultursenator Michael Müller geholt. Wie viel Schuld trägt Müller an der jetzigen Situation?
Viele Leute tragen Verantwortung. Sicherlich muss man die politische Entscheidung von damals hinterfragen und daraus Konsequenzen ziehen. Auch Chris Dercon hat sich nicht immer besonders geschickt in der Berliner Öffentlichkeit präsentiert und ist mit seinem künstlerischen Konzept ja offenbar gescheitert. Und es gab viele andere Akteure, die mit ihren Beiträgen die Volksbühnen-Debatte immer weiter eskaliert haben.
Hat Dercon es nicht geschafft, darzustellen, was er künstlerisch erreichen will?
Daniel Wesener
ist Parlamentarischer Geschäftsführer und Sprecher für Kultur der Grünen Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus
Er hatte ja offenbar den expliziten Auftrag, eine gänzlich neue Volksbühne zu schaffen. Das Konzept, mit dem er angetreten ist, kann man kritisieren, letztlich ist es nicht aufgegangen. Ihm dafür die alleinige Schuld zuzuweisen, wäre ungerecht.
Also war das Konzept falsch?
Es hat zumindest nicht funktioniert, vor allem nicht an diesem Ort. Über die Köpfe der Stadtgesellschaft hinweg aus einem Haus wie der Volksbühne etwas völlig anderes zu machen, kann man zwar Mut zum Neuanfang nennen, musste aber schief gehen.
Dercon ist sehr hart angegangen worden, teilweise sogar tätlich. Hat die Kulturszene Dercon vertrieben? War das kulturelle Barbarei?
Den Begriff würde ich mir nicht zu eigen machen. Und wer den Anspruch hat, ein Haus wie die Volksbühne künstlerisch neu zu prägen, der muss auch mit Kritik daran umgehen können. Allerdings ist diese Kritik in den vergangenen Monaten in vielen Fällen deutlich über das hinausgegangen ist, was man als sachlich bezeichnen kann. Es war erschreckend, wie viele Menschen hier einen Identitätskampf herbeigeredet haben, mit einer rhetorischen Schärfe, die viele Verletzungen hinterlassen hat.
Das war doch von Anfang an so!
Nein, nach meiner Beobachtung haben die meisten Leute erst mit dem Amtsantritt von Dercon realisiert, was da eigentlich passiert. Zu diesem Zeitpunkt war die Sache selber aber schon längst entschieden. Auch das ist eine Lehre für die Kulturpolitik: Dass man sich nicht im Nachhinein über eine Entscheidung echauffiert, die man schon vorher hätte kritisieren müssen. Da ist von vielen Leuten etwas versäumt worden.
Was wünschen Sie sich jetzt?
Entscheidungen über Intendanzen sind ja nicht nur Entscheidungen über Personen, sondern auch über Konzepte und die Weiterentwicklung des Profils einer Kultureinrichtung. Ich würde mir eine Findungskommission für die Dercon-Nachfolge wünschen, in der auch externe Experten mitreden.
Aber es muss doch jetzt schnell gehen, oder?
Es gibt mit dem neuen Geschäftsführer Klaus Dörr eine kommissarische Leitung. Da ist die Volksbühne in guten Händen. Ein Neustart kann keine Schnellschüsse vertragen. Alle Beteiligten sollten sich also ein wenig Zeit nehmen.
Was heißt „ein wenig“?
Ich gehe davon aus, dass es nach der Sommerpause erste konkrete Vorschläge zum weiteren Verfahren gibt.
Es kursieren zwei Namen: Armin Petras und Matthias Lilienthal. Ist das die angemessene Größenordnung?
Da ich in der Kulturpolitik und gerade bei solchen Entscheidungen mehr Partizipation und Transparenz einfordere, werde ich mich als Kulturpolitiker auch ausdrücklich nicht an Spekulationen über mögliche Nachfolger beteiligen.
Was passiert jetzt mit Dercon: Würden Sie sich wünschen, dass er noch eine Chance in Berlin bekommt?
Ich glaube, dass Chris Dercon mit seiner Biographie und den Erfahrungen, die er in den letzten Jahren, auch an der Volksbühne, gesammelt hat, noch viel für die Kunst und Kultur leisten kann. Ob das in Berlin geschieht, ist nicht zuletzt seine Entscheidung.
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