Grüne im Osten: Im grünen Bereich
Wie den Schwung der Demos gegen rechts mitnehmen vor den Wahlen im Osten? Zu Besuch in der Kreisgeschäftsstelle der Grünen in Senftenberg.
Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Kommunal- und Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier auf dem Spiel steht: Wer steht für die Demokratie ein? Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um ihre Existenz?
Für die Mitgliedschaft hat es aber erst die Demos gegen rechts gebraucht, die seit einigen Wochen bundesweit immer wieder Zehntausende auf die Straße mobilisieren. Vor zwei Jahren wollte er schon mal beitreten – das scheiterte daran, dass seine Mails ins Leere liefen. Vor drei Wochen dann fand auch in Senftenberg eine Kundgebung gegen die AfD und deren Deportationspläne statt. „Die erste Demo meines Lebens“, sagt der Hobbygärtner, der seinen Namen nicht prominent in der Zeitung lesen will. Eine Gruppe mit Grünen-Fahne war da, die sprach er an, und jetzt sitzt er an einem Dienstagabend im Februar auch gleich bei seiner ersten Parteiveranstaltung – als Mitglied Nummer 34 des Kreisverbands Oberspreewald-Lausitz.
Der Landkreis liegt im Süden Brandenburgs, nahe der Grenze zu Sachsen. Berlin, mit der Regionalbahn in weniger als zwei Stunden zu erreichen, ist gefühlt weit entfernt. Die Bevölkerung ist in den letzten 30 Jahren um ein knappes Drittel geschrumpft. Die Region befindet sich im Strukturwandel, weg von der Braunkohle und hin zu neuen Arbeitsplätzen in Industrie und Forschung. Die AfD wäre schon bei der letzten Kreistagswahl vor fünf Jahren beinahe stärkste Kraft geworden. Die NPD-Nachfolgepartei „Die Heimat“ ist auch noch aktiv. Für die Grünen war die Region dagegen schon immer ein hartes Pflaster. Im Jahr 2024, mitten im Rechtsruck, ist der kleine Kreisverband mit Kommunal-, Landtags- und Europawahl gleich dreifach gefordert.
In der Senftenberger Bahnhofstraße befindet sich die Kreisgeschäftsstelle der Grünen. Acht von ihnen sitzen an diesem Dienstag hier zusammen. Sechs Männer und zwei Frauen zwischen Mitte dreißig und Anfang siebzig. Alle paar Wochen laden sie zu einer offenen Gesprächsrunde. Thema heute: Wie weiter nach den Demos gegen rechts?
Aufbruchstimmung in der Lausitz
In der Region hatten sie in den letzten Wochen mehrere davon, wie an so vielen Orten im ganzen Land. Rund 400 kamen zur Kundgebung in Senftenberg, eine Woche später 300 zu der in Lauchhammer. Nebenan in Elsterwerda waren es genauso viele. Aufbruchstimmung also auch in der Lausitz, wie in den Großstädten, wo Hunderttausende auf den Straßen waren?
Der Kreisvorsitzende sagt: „Es waren auch Gesichter da, die ich noch nie gesehen hatte.“ Seine Beisitzerin sagt: „Bei der Demo in Senftenberg hatte ich schon auch das Gefühl: Wir sind mehr.“ Die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle sagt: „Immerhin hat auch der Betriebsrat von BASF aufgerufen.“ Im benachbarten Schwarzheide betreibt der Chemiekonzern ein großes Werk, nach eigenen Angaben produziert er dort schon heute CO2-neutral. Das ist die Positivseite.
Und trotzdem ist die Stimmung im Senftenberger Grünen-Büro gedämpft. Ein wenig abgekämpft wirken sie hier an ihrem Konferenztisch. Von einer Massenbewegung, da sind sich die Anwesenden einig, sind sie trotz der Demos weit entfernt. Der Kreis der Teilnehmenden: am Ende doch überschaubar. Die Aktiven aus Lauchhammer und Elsterwerda seien auch zur Kundgebung in Senftenberg gefahren, die aus Senftenberg und Elsterwerda zu der in Lauchhammer, kurz: Man hat sich gegenseitig einen Besuch abgestattet. Sonst sähen die Teilnehmerzahlen nicht so gut aus.
Ende Januar, bei einer Kundgebung in Herzberg, waren die Demokrat*innen vielleicht sogar in der Unterzahl. Dort hätten sich Rechte unter die Menge gemischt, mit Traktoren und Lastwagen seien sie angereist. Paul-Philipp Neumann, der Direktkandidat der Grünen für die Landtagswahl im Herbst, sollte eigentlich eine Rede halten. Im Gehupe, berichtet er, habe er sie aber abbrechen müssen. Später erzählt der IT-Manager beiläufig auch noch von den Rechtsextremen auf der Demo in Elsterwerda. Einer sei gezielt auf ihn zugekommen, habe ihn geschubst und ihm sein Handy aus der Hand geschlagen. Zwei Tage ist das her.
„Beunruhigt dich das?“, fragt jemand. Kurze Pause von Neumann vor der Antwort: „Wenn ich darüber nachdenken würde, könnte ich den Job nicht mehr machen.“ Der Rechtsruck ist spürbar. „Das rechte Spektrum hatten wir hier von Anfang an. Dass wir Grüne kein Bein auf den Boden bekommen, ist nicht neu“, sagt einer, der schon lange für die Partei in der Stadtverordnetenversammlung sitzt. „Zugenommen hat aber die Aggression.“
Das sei auch im Alltag und sogar im persönlichen Umfeld so. „Es ist total salonfähig geworden, rechte Sachen zu äußern“, berichtet die Beisitzerin des Kreisvorstands. „Ich frage mich dann immer, wie ich reagieren soll.“ Auf jeden Fall widersprechen, meint die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle, damit habe sie gute Erfahrungen gemacht. „Das könnt ihr euch vielleicht leisten“, antwortet die Beisitzerin. Die ist aber Single, wie sie sagt, lebt alleine und ist damit auf soziale Kontakte auch außerhalb der Partei angewiesen. „Wenn auf dem Hundeplatz einer anfängt, sich über Kanaken auszulassen – oute ich mich dann als Grüne?“
Kurz vor acht soll der Kreisvorsitzende ein Fazit des Abends ziehen. „Ich finde, wir sollten weiter mit aufrufen zu den Demos“, sagt er. Da sind sich wieder alle einig, nur über den nächsten Termin in Senftenberg gibt es noch Gesprächsbedarf. Der Initiator der Kundgebungen in der Stadt, ein Ex-Mitglied der Grünen, will die nächste Aktion als Tanzdemo anmelden.
Und wie fand Neumitglied Nummer 34 nun seinen ersten Abend mit der Partei? „War schick“, erwidert der Neuling, bevor er sich auf den Heimweg macht. „Haben uns mal gut ausgetauscht. Ist ja auch wichtig.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken