Grüne Chefin über NRW-Minderheitsregierung: "Wir setzen auf regionalen Konsens"
In ein linkes Lager will sich Grünen-Fraktionschefin Sylvia Löhrmann nicht hineintreiben lassen. Im Landtag will sie mit wechselnden Mehrheiten vor allem auf Inhalte setzen.
taz: Frau Löhrmann, herzlichen Glückwunsch zum ersten rot-rot-grünen Bündnis in Westdeutschland.
Sylvia Löhrmann: Quatsch! Zusammen mit der SPD wollen wir eine Minderheitsregierung bilden, die sich im Landtag auf wechselnde Mehrheiten stützen wird. Wir werben darum, dass sich mit CDU, FDP und Linkspartei alle Fraktionen am Erneuerungsprozess Nordrhein-Westfalens beteiligen.
Für einen Politikwechsel sind Sie faktisch auf die Stimmen der Linken angewiesen. CDU und FDP haben Fundamentalopposition angekündigt.
CDU und FDP werden diese Fundamentalopposition nicht durchhalten. Beide fahren eine durchsichtige Strategie: Sie wollen uns in ein linkes Lager hineintreiben, um uns dann bekämpfen zu können.
Die politischen Lager existieren aber weiter: Warum sonst verspricht FDP-Chef Andreas Pinkwart, nicht den "Hilfsmotor" für Rot-Rot-Grün zu geben?
Um dieses Lagerdenken im Fünf-Parteien-Spektrum zu durchbrechen, setzen wir konsequent auf Inhalte. Warum sollten sich CDU-Abgeordnete einem Rettungspaket für die kommunalen Stadtwerke widersetzen, gerade wenn der Druck aus den Kommunen wächst? Warum sollten die Christdemokraten, die mit Armin Laschet im Einwanderungsland Deutschland angekommen sind, jetzt die Ziele der interfraktionellen Integrationsoffensive torpedieren? Wir Grüne jedenfalls haben auch in der Opposition sachbezogen entschieden - und etwa beim Ausstieg aus der Steinkohle CDU und FDP unterstützt.
Inhaltlich trennen Rot-Grün und Schwarz-Gelb trotzdem Welten: Beharrt die FDP nicht auf ihrem Motto "Privat vor Staat", lehnt die CDU den Mindestlohn nicht genauso ab wie längeres gemeinsames Lernen?
Unser Schulkonzept setzt auf den regionalen Konsens und ist auch von CDU und FDP-Kommunalos ausdrücklich gewollt. Einen Blockadekurs werden CDU und FDP den Bürgerinnen und Bürgern schlicht nicht vermitteln können. Klar ist, wir müssen klug und behutsam vorgehen - SPD und Grüne haben nun einmal keine absolute Mehrheit.
Umso größer ist das Risiko, dass der Versuch, die SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin zu wählen, wie in Schleswig-Holstein oder Hessen in einem Debakel für Rot-Grün endet. Fürchtet Kraft keine Abweichler bei den Grünen oder sogar bei der SPD?
Selbstverständlich wählen wir alle Frau Kraft. Auch die SPD-Abgeordneten werden das tun - sonst hätten wir ja auch bei einer knappen eigenen Mehrheit nicht antreten brauchen. Eine rot-grüne Minderheitsregierung ist ein Wagnis, aber nach dem schwierigen Wahlergebnis das stabilste Angebot.
Warum haben SPD und Grüne die Sondierungsgespräche mit der Linkspartei scheitern lassen?
Selbst in der Sondierungskommission der Linken herrschte untereinander oft nur ein Minimalkonsens. Ihre Abgeordneten haben jetzt die Möglichkeit, wenigstens punktuell Verantwortung zu übernehmen. Genauso wie die von CDU und FDP.
Dient die rot-grüne Minderheitsregierung in Wirklichkeit nicht nur der Vorbereitung von Neuwahlen?
Nein. Wir Grüne haben uns ein Bündnis mit der SPD plus einem weiteren Partner gewünscht. Das hat ebenso wenig funktioniert wie eine große Koalition. Deshalb bleibt als einzige Möglichkeit Rot-Grün. Nicht einmal der Haushalt muss scheitern: Dafür brauchen wir keine absolute, sondern nur eine relative Mehrheit.
INTERVIEW: ANDREAS WYPUTTA
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