Grubenunfall in der Türkei: Profit vor Sicherheit
Das „Unglück“ in Soma war vorhersehbar. Regierung und Bergwerksbetreiber hatten einen guten Deal geschlossen. Sicherheitsstandards waren zweitrangig.
ISTANBUL taz | „Das ist kein Unfall, das ist ein Massaker“ – der Kommentar des Vorsitzenden des linken Gewerkschaftsdachverbandes DISK, Kani Beko, mag auf den ersten Blick überzogen erscheinen. Angesichts der Umstände aber, unter denen die Bergarbeiter in den Gruben in Soma arbeiten, ist die Wut der Arbeiter und Gewerkschafter verständlich.
Das Bergwerk in Soma, in dem nach der Explosion eines Transformators am Dienstag ein Feuer ausgebrochen war, das Hunderte in den Tod riss, ist aufgrund seiner mangelnden Sicherheit seit langem für schwere Arbeitsunfälle berüchtigt. Es war deshalb schon kurzfristig geschlossen worden, wurde auf Druck des Besitzers aber schnell wieder geöffnet. Geändert hatte sich nichts.
Der Abgeordnete Özgür Özel der oppositionellen CHP aus Manisa, der Kreisstadt, zu dem das Bergwerk gehört, erklärte am Dienstag, seine Partei habe noch am 29. April dieses Jahres einen Antrag im Parlament gestellt, einen Untersuchungsausschuss zu dem Bergwerk einzurichten.
„Wir waren es einfach satt, ständig zu Beerdigungen von verunglückten Kumpels nach Soma zu fahren. In dem Bergwerk hätten die Sicherheitsmaßnahmen längst gründlich überholt werden müssen“, sagte er der Presse am Dienstag. Der Antrag wurde zwar von der anderen Oppositionspartei, der nationalistischen MHP, unterstützt. Die AKP-Mehrheit im Parlament aber blockte alles ab.
Bergwerk 2005 privatisiert
Das hat einen Grund: Energieminister Taner Yildiz, der am Dienstag vor Ort von einem tragischen Unfall sprach, hatte in der Vergangenheit alles Interesse daran, dass die Verhältnisse in Soma bleiben, wie sie sind.
Die Gruben in der westanatolischen Kleinstadt gehören zu den größten der Türkei. Gut 6.000 Leute sind dort beschäftigt, davon mehr als 5.000 unter Tage. 2005 privatisierte die AKP-Regierung das Bergwerk – offensichtlich mit dem Ziel, die Kosten zu drücken.
Bis dahin wurde eine Tonne Kohle in Soma für rund 130 Dollar produziert. Ein privater Bergwerksbetreiber, Alp Gürkan, bot bei der Übernahme des Bergwerkes an, die Tonne Kohle zukünftig für 25 Dollar zu produzieren. Die gesamte in Soma geförderte Kohle wird an den Staat verkauft. Gürkan hat sich nach Angaben aus Gewerkschaftskreisen verpflichtet, jedes Jahr 6 Millionen Tonnen zu liefern.
Dieser profitable Deal für das Energieministerium konnte natürlich nur gelingen, wenn ein Privatmann unter Missachtung der Sicherheitsstandards und durch Lohndumping alles nur Mögliche aus dem Betrieb herauspresst. Der Gewerkschaftsdachverband DISK berichtet, dass eine große Zahl der Beschäftigten durch Subunternehmer angeheuert wurde, die schlecht bezahlt werden und es aus Angst um den Arbeitsplatz nicht wagen, gegen die Arbeitsbedingungen zu protestieren.
Wasserwerfer für den Ernstfall
Die Wut der Bergarbeiter angesichts dieses vorhersehbaren Unglücks ist entsprechend groß. Bevor er sich selbst auf den Weg machte, schickte Ministerpräsident Tayyip Erdogan deshalb erst einmal Polizei und Wasserwerfer nach Soma.
Der Unfall in dem Bergwerk ist aber alles andere als ein einmaliger Ausreißer. Recherchen der Istanbuler Tageszeitung Radikal zufolge starben allein im vergangenen Jahr 1.235 Arbeiter durch Unfälle am Arbeitsplatz.
Neben dem Bergbau sind vor allem die Schiffswerften für ihre hohe Zahl tödlicher Unfälle berüchtigt. In den vergangenen Jahren organisierten die zuständigen Gewerkschaften in den Werften in Istanbul mehrere Arbeitsniederlegungen, um gegen die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen zu protestieren.
Wie auch in Soma, trägt das ausbeuterische System der Subunternehmen wesentlich zu dem hohen Unfallrisiko bei. Die Arbeiter sind nicht entsprechend ausgebildet, werden zu Dumping-Löhnen angeheuert und können jederzeit auf die Straße gesetzt werden.
Dieser Artikel wurde aktualisiert um 14.55 Uhr.
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