: Großer Aufmarsch in Havanna - Alle machen mit
■ Ein riesiges Manöver mit sieben Millionen Menschen beendet die Sondersitzung des 3. Parteitages der KP Kubas / Fidel Castro mobilisiert gegen den Schlendrian
Von Harald Irnberger
Eine Sondersession des 3. Parteikongresses der KP Kubas wurde soeben abgeschlossen und am 7. Dezember begannen die größten Manöver in der Geschichte der Zuckerinsel: Sieben Millionen Menschen sollten dazu mobilisiert werden - äußeres Zeichen der neuen Anstrengungen, die den sozialistischen Kariben für die nächsten Jahre verordnet wurden. Vor dem gewaltigen Steinmonument von Kubas Nationalhelden Jose Marti auf Havannas Platz der Revolution zogen bewaffnete und uniformierte Kubanerinnen und Kubaner vorbei - in strammer Haltung, die tropische Schwüle dieses zweiten Dezembertages scheinbar ignorierend. Armee– und Miliz–Einheiten defilierten sozusagen als Vorhut einer Nation, der gerade fünf arbeitsame Jahre verkündet worden waren. Diese Militärparade bildete den Abschluß einer Sondersession, zu der sich über 1.700 Delegierte zum Dritten Kongreß der Kommunistischen Partei Kubas in den vorangegangenen Tagen im Konferenzpalast der Hauptstadt versammelt hatten - und zugleich den Übergang zu den größten Militärmanövern in der Geschichte der Zuckerinsel. Laut offizieller Ankündigungen sollen gleich sieben der insgesamt etwas über zehn Millionen Kubaner ab 7. Dezember die umfassende Verteidigung ihres Staates üben. Diese Generalmobilisierung nahzu eines gesamten Staatsvolkes macht deutlich, wozu Kubas politische Führer entschlossen zu sein scheinen: dreißig Jahre, nachdem sich Fidel Castro mit einer Handvoll Kämpfer in Mexico auf der Jacht „Granma“ eingeschifft hatte, um den am Gängelband der USA hängenden Diktator Batista zu stürzen, will der inzwischen zum Staatsmann gereifte Revolutionär sein Volk noch einmal zu einer historischen Kraftanstrengung mitreißen. Immer diese Kaffeepausen Dieses mal jedoch nicht in einem spektakulären Guerillakrieg, sondern auf so profanen Gefechtsfeldern wie Fabriken, landwirtschaftlichen Produktionsstätten, Planungsbüros und Verwaltungskanzleien. „Wann immer ich in eine Fabrik komme, findet dort gerade eine Kaffeepause statt“, umriß Fidel - in seinem 6O. Lebensjahr grauhaarig geworden und im Sowjet–Chic einer Paradeuniform statt des zerknitterten Kampfanzuges gekleidet - vor den Parteitagsdelegierten die Ausgangssituation dieser Schlacht. Und er knüpfte damit an seine inzwischen bereits legendär gewordene Sechs–Stunden–Rede zur Eröffnung dieses 3. Parteikongresses im Februar dieses Jahres an, in der er seinen Landsleuten - vor allem jedoch den Funktionären der Partei - eindringlich die Leviten gelesen hatte: Schlamperei, Faulheit, Ineffizienz, Bürokratie und Gleichgültigkeit waren nur einige der Vokabeln, mit denen er die Versammelten geisselte. Fidels Credo in dieser eröffnenden Februar–Session: „Die revolutionäre Lehrzeit ist endgültig vorbei.“ Um zu demonstrieren, was das heißt, mußten die Genossinnen und Genossen gleich einmal nachsitzen: es wurde kein Parteitagsdokument zur Beschlußfassung vorgelegt, sondern nur ein Entwurf zur Diskussion in allen gesellschaftlichen Bereichen des Landes verabschiedet. Nun, nachdem über dieses Papier zehn Monate lang in Betrieben und Lokalorganisationen, Wohnblockkomitees und Kasernen diskutiert worden war, trat der Kongreß schließlich zu einer Sondersession zusammen, um ein Programm zu beschließen, das den Kubanern in den nächsten fünf Jahren eine Leitlinie in allen Lebensbereichen bieten soll. Bis dahin hochrangige Staats– und Parteilenker, die von diesem nunmehr beschlossenen Weg abgekommen waren, hatte der Maximo Lider bereits vor einem Jahr aufs Altenteil schicken lassen: nachdem eine in keiner Verfassung und keinem Parteistatut vorgesehene „zentrale Gruppe“ junger Ökonomen und Verwaltungsfachleute unter dem Vorsitz eines jüngeren Bruders des 196O verstorbenen Revolutionshelden Camilo Cienfuegos die samt und sonders gefeuerte zentrale Planungskommission abgelöst hatte, wurden lange Listen mit den Namen von Ministerien– und Betriebsleitern veröffentlicht, denen ein kurzer Abschied bereitet wurde. Frühjahrsputz im Politbüro Mehr als die Hälfte der 225 Mitglieder des Zentralkomitees der Partei wurden im Februar nicht mehr gewählt und im Politbüro, dem obersten KP–Gremium, mußten neun Mitglieder - darunter vier alte Weggefährten Fidels aus der Zeit des Guerillakampfes - den Hut nehmen. Die Nachrücker kamen fast durchweg aus jenen drei Gruppen der Gesellschaft, auf die der von seinen Anhängern als „oberster Oppositioneller“ des Landes gepriesene Revolutionsführer nunmehr zu setzen scheint: die Frauen, die Farbigen und die Jugend. Freilich, was den Kern des nunmehr verabschiedeten Fünf–Jahres–Programmes ausmacht, nämlich eine Reihe antibürokratischer Neuerungen, wie eine realistische Lohn– und Preispolitik, die Einführung des Autonomiebegriffes in der Verwaltung von Staatsbetrieben und Anreize zur Entwicklung von Eigeninitiative im Wirtschaftsleben, hätten bereits im Februar genausogut beschlossen werden können. Nachdem der 3. Parteikongreß jedoch bereits 1985 spektakulär um einige Monate verschoben worden war, ging es Fidel und seiner Gefolgschaft nun offenbar darum, durch einen mehrmonatigen Diskussionsprozeß deutlich zu machen, daß die Partei dieses mal mehr als nur Worte unters Volk zu bringen gedenke, die dann bereits bei der nächsten Kaffeepause in Vergessenheit geraten. Wohlstand auf Pump Die Auslandsschulden Kubas im Westen betragen bereits 3,5 Milliarden Dollar und eine extrem ungünstige Außenhandelsbilanz treibt die Kubaner gegenwärtig jährlich um 500 weitere Dollar– Millionen in die Kreide. Da es in Kuba offenbar zur Gewohnheit geworden war, diese Entwicklung als nicht weiter besorgniserregend anzusehen, und zu verbrauchen, was dem Staat abgeknöpft werden kann - Castro sprach in diesem Zusammenhang von „Opportunismus und Demagogie“ -, schien hier ein unüberhörbares Signal angebracht zu sein. Wobei als Begleitmusik jenes Säbelrasseln zustatten kam, das die USA seit dem Amtsantritt von Ronald Reagan im Weißen Haus absondern: Seit der US–Invasion auf Grenada muß den Kubanern nicht erst sonderlich eingeredet werden, daß sie sich von den Yankees jenseits der Meerenge bedroht fühlen dürfen. Und so groß das Bedürfnis vieler Kubaner nach US–Jeans und -Rockmusic auch sein mag: Jenes nach Reaganomics und CIA–Betreuung hält sich in den Grenzen jenes Bevölkerungsteiles, der ohnedies bereits einen Sektor von Miami zum „little havanna“ umfunktioniert hat. Oder wie es in Kubas Hauptstadt ein westlicher Diplomat formuliert: „Eine fundamental gegen das System gerichtete Opposition gibt es hier eigentlich nicht mehr - die hat Castro längst in die USA exportiert.“ Auf zu neuen Fronten Was lag für Kubas Führung in dieser Situation also näher, als zum allgemeinen großen Sprung vorwärts im Verteidigungsbereich anzusetzen. „Ein Land ist unabhängig, wenn es sich selbst verteidigen kann“, stellte Fidel bereits im Februar 1985 in einem Interview für die Washington post fest. Was dieser Erklärung in der Praxis folgte, war nicht nur eine demonstrative Abkehr von der Verteidigungsdoktrin nach sowjetischem Muster, der Kubas 250.000–Mann–Armee bis dahin gefolgt war. Diese Wende bedeutet vor allem eine Rückkehr zu jener Volkskriegs–Strategie, mit der nicht nur in Jugoslawien oder Vietnam übermächtige Eindringlinge geschlagen worden, sondern auch Kubas Revolutionäre erfolgreich gewesen waren. In einem intensiven Umstrukturierungsprozeß wurden die „territorialen Miliztruppen“ (MTT) zum zentralen Angelpunkt der Landesverteidigung erhoben. Fidels Bruder und Stellvertreter, Verteidigungsminister Raul Castro, konnte nunmehr gelegentlich der großen Truppenparade zum Abschluß des 3. Parteikongresses melden: „Jedem Bürger wurde eine Waffe, eine Verteidigungsstellung und ein exakter Kampfauftrag zugeteilt.“ Doch nicht nur in dieser Hinsicht stehe Kuba am „Anfang eines Weges tiefgreifender Veränderungen und Erneuerungen“. Was es damit in der Praxis auf sich hat, soll in den nächsten Tagen im Rahmen des Manövers „Bastion 86“ durchexerziert werden. Wohl auch mit dem Hintergedanken, daß militärische Demobilisation am Ende dieser Verteidigungsübung nicht Rückkehr in den zivilen Schlendrian bedeuten dürfe, der in den letzten Jahren das Leben auf Kuba vielfach prägte - sondern den permanenten Kampf an der Produktionsfront.
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