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■ Große Erleichterung bis weit hinter MössingenFaas ist wieder da!

Nehren (taz) – Empörungsbriefe an die Bahn AG zu Dutzenden, fast tausend Unterschriften, abendlange Ratsdebatten, Interventionen bei Bundespolitikern, schließlich die Drohung einer leibhaftigen Bahnhofsblockade und sogar richtige Grafitti im Weichbild des Ortes: Die Protestaktionen vom Januar 1999 waren wohl die gewaltigsten, die die 3.000-Seelen-Gemeinde Nehren nahe Tübingen je erlebt hat. Jetzt ist der Aufruhr (Wahrheit vom 29.1. 99) von Erfolg gekrönt: Die Deutsche Bahn hat die schamlose Kündigung von Mitarbeiter Wolfgang Faas zurückgenommen. Faas, das beliebte wie grantelige Orts-Unikum (55) mit der eingebauten Hilfsbereitschaft („der kennt jede intime Tariflücke“) und dem spröden Schwaben-Charme (Markenzeichen vorne: „Grüß Gottle“, hinten: „Tschüßle“), ist in sein Schalterkabuff in Nehren Hbf. zurückgekehrt.

Der „geborene Pünktlichkeits- und Informationsmanager“ (so örtliche Faas-Fans) hatte 22 untadelige Jahre im Dienst der Reisenden hinter sich, als sich eine Kundin aus vagem Ärger heraus über ihn beschwerte. Die Bahn sah das eigene „Ansehen geschädigt“, feuerte Faas fristlos und stellte zur Demütigung einen schnöden Kartenautomaten auf. Über die genauen Gründe hüllte sich das Unternehmen, so Faas, „in Schweigen wie bei einem Staatsgeheimnis“, was, weil die Hintergründe angeblich „zu privat für die Öffentlichkeit“ seien, zusätzlich machn pikantes Gerücht in Umlauf setzte.

Nach Wochen des Mauerns war die Bahn („Da ist nichts mehr zu ändern“) Anfang Februar plötzlich gesprächsbereit. Faas solle sich schriftlich entschuldigen. Faas weigerte sich erst, besänftigte die motzige Dame dann doch („Dabei habe ich sie gar nicht angemüffelt“) auf Drängen der nervös gewordenen Bahn-Oberen mit einem persönlich überbrachten Blumenstrauß („den allerdings die Bahn bezahlt hat“). Eine hochdiplomatöse Lösung, durch die alle ihr Gesicht wahren konnten. Schaden hat nur die Bahn – an Image sowieso und auch in DM: Denn für etliche tausend Mark (einige tausend Euro) mußte das Schalterchen, übereilt leergeräumt, nach sechs Wochen Ruhe jetzt wieder eingerichtet und neu zentralvercomputert werden, damit Wolfgang Faas wieder seinen detektivischen Spezialaufträgen nachgehen kann, etwa, so der Sherlock Holmes der Tarife: „Billigste Variante ganze Familie quer durch Europa mit Unterwegszustieg“.

Die Wahrheit-Redaktion wünscht Wolfgang Faas weiterhin ein erfülltes Arbeitsleben. Möge er noch viele seiner stets kunstvoll handgeschriebenen Bahnfahrscheine ausgeben, die in Sammlerkreisen schon heute bis weit hinter Mössingen und Dußlingen annähernd wie Reliquien gehandelt werden. Bernd Müllender

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