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Größerer Spielraum

■ Die autorisierte Antwort des Verfassungsschutzes an Cohn–Bendit und Freunde

1. Schätzt das BfV die RAF heute anders ein als 1977? Das BfV sieht die RAF in ihrer jeweiligen Situation. So ist die RAF heute anders als 1977 anzusehen. Sie ist zwar immer noch höchst gefährlich, unkalkulierbar und auch zu Morden und Anschlägen fähig. Andererseits ist sie in der linken Bewegung weitgehend isoliert; sie mißt sich auch nicht mehr an ihren ursprünglichen politischen Ansprüchen und Wertvorstellungen. 2. Beziehen Sie Ihre Aussage auf jedes einzelne RAF–Mitglied, oder sind Sie bereit zu differenzieren? Jeder RAF–Angehörige hat seine eigene Lebensgeschichte und seine eigene Motivation. Von daher ist eine differenzierte Betrachtung zwangsläufig geboten. 3. Halten Sie einen Ausstieg von RAF–Angehörigen für ausgeschlossen? Nein, keineswegs. Wir sind überzeugt, daß es Angehörige der RAF gibt, die die Sinnlosigkeit der RAF–Politik erkannt haben und sich gerne aus den Verstrickungen lösen würden. Ihnen sollten auch Möglichkeiten des Ausstiegs eröffnet werden, damit sie nicht weiter gezwungen sind, sich an neuen Straftaten zu beteiligen. 4. Droht damit Aussteigern nicht notwendig eine langjährige bzw. lebenslängliche Freiheitsstrafe, oder gibt es andere Beispiele? Es gibt diese anderen Beispiele, die wir aber aus verständlichen Gründen nicht nennen wollen. Im Übrigen ist sicherlich jeder Einzelfall für sich zu beurteilen. Eine Reihe gesetzlicher Vorschriften läßt da einen größeren Spielraum, als manch einer vermutet. 5. Verfolgt der Verfassungschutz gegebenenfalls andere Interessen als zum Beispiel die Strafverfolgungsbehörden? Der Verfassungsschutz hat Spielraum eingeräumt. Dennoch arbeitet das BfV nicht gegen die Strafverfolgungsbehörden. Im Gegenteil: in der Regel ist eine Zusammenarbeit mit ihnen geboten. 6. Wie verhält sich das BfV gegenüber Aussteigern? Um es ganz deutlich zu sagen: Das BfV bewertet jeden Ausstieg aus einer terroristischen Gruppierung, das betrifft neben der RAF natürlich auch die RZ, positiv. Die Probleme, Ängste und Nöte des Aussteigers sowie dessen mögliche Bedrohung durch die Gruppe sind uns nicht unbekannt. Die Gruppe setzt ja Ausstieg automatisch mit Verrat gleich, obwohl dies nicht immer der Fall war. 7. Was können Sie konkret tun? Wir können zum Beispiel zunächst über Dritte Kontakt zu einzelnen Aussteigern knüpfen, um die Möglichkeiten eines Ausstiegs auszuloten. Das kann dazu führen, daß das BfV für den Betroffenen Sondierungen bei den Strafverfolgungsbehörden vornimmt, zum Beispiel ihm die Möglichkeit verschafft, seine Stellungnahme zu Tatvorwürfen abzugeben. So können eventuell Schuldvorwürfe reduziert werden. Im übrigen verbietet es sich, in der Öffentlichkeit konkrete Maßnahmen zu erörtern. 8. Wäre seitens der Aussteiger eine denunziatorische Lebensbeichte erforderlich? Nein. Wir wollen keine für den einzelnen unüberwindbare Hürden aufbauen. Natürlich sind wir auch an Informationen interessiert; schließlich wollen wir künftige Anschläge verhindern und damit Menschenleben retten. Im Übrigen ist allein der Ausstieg ein Erfolg für sich. Außerdem: Jeder Ausstieg hat eine positive Signalwirkung. Sie kann junge Menschen davon abhalten, sich einer terroristischen Gruppierung anzuschließen und sich in schwerste strafbare Handlungen zu verstricken. Wir sind überzeugt, daß mancher, der diesen Schritt in den Untergrund gegangen ist, ihn später bereut hat. 9. Müßte man dann nicht auch an ausgestiegene Häftlinge denken? Ja, das tun wir bereits. Wir sind bereit, Signale über einen Sinneswandel aufzunehmen und in geeigneter Form mit den zuständigen Stellen darüber nachzudenken, welche neuen Lebensperspektiven den Betroffenen eröffnet werden können.

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