Griechischer Fim „Meteora“: Abstand zur Wirklichkeit
Metaphysik des Kinos: Spiros Stathoulopoulos erzählt in seinem Spielfilm „Meteora“ eine Liebesgeschichte zwischen Mönch und Nonne.
Das Setting von Spiros Stathoulopoulos’ „Meteora“ wirkt derart aus der Realität gefallen, dass es eigentlich nur als symbolische Landschaft verstanden werden kann. Zwei Klöster des Meteora-Komplexes, einer pittoresken Weltkulturerbe-Stätte in der Bergregion Thessaliens, thronen auf hoch in den Himmel ragenden Sandsteinfelsen.
Hierhin zogen sich die ersten Geistlichen schon im 11. Jahrhundert aus Schutz vor Verfolgern zurück. Im besten Wortsinn ist dieser Ort „abgehoben“. Wenn in den Morgenstunden Nebelschleier zwischen den schmalen Felsplateaus aufsteigen, scheinen die Klöster tatsächlich von der irdischen Welt losgelöst. „Meteora“ ist das griechische Wort für „schwebend“, und die unwirkliche Erhabenheit, die diese Beschreibung evoziert, macht einen Gutteil der verrätselten Faszination von Stathoulopoulos’ Film aus.
In den Klöstern von Meteora spielt eine Liebesgeschichte, der nicht nur geografisch Steine in den Weg gelegt sind. Die irdische Liebe zwischen dem griechischen Mönch Theodoros und der russischen Nonne Urania rüttelt auch an den Wertevorstellungen ihrer Religion.
Der Geist der Vormoderne
„Meteora". Regie: Spiros Stathoulopoulos. Mit Theo Alexander, Tamila Koulieva u. a. Griechenland/ Deutschland 2012, 80 Min.
Zugang zum Nonnenkloster findet man nur über eine Seilwinde, an der ein Netz befestigt ist. In den Glaubensgemeinschaften herrscht noch der Geist der Vormoderne. Stathoulopoulos hat einen distanzierten dokumentarischen Blick für die religiösen Zeremonien. Sie setzen einen interessanten Kontrapunkt zu den pastoralen Panoramen, die der Regisseur wie Establishing Shots zwischen den intimeren Szenen platziert. Die Innenwelten der beiden Klöster zeichnet eine asketische Strenge aus: Rohe Felswände, christliche Insignien und matter Kerzenschein verleihen „Meteora“ eine gedrückte, leicht repressive Atmosphäre.
Woher die Liebe zwischen Theodoros und Urania in einer derart abgeschotteten Welt rührt, thematisiert Stathoulopoulos nicht. Die gemeinsamen Gottesdienste sind die einzigen Gelegenheiten, bei denen sie sich begegnen könnten. Zurück in ihren Gemäuern, kommunizieren sie über Lichtzeichen. Hier sind der Mönch und die Nonnen mit ihren Zweifeln alleingelassen. Können ihre weltlichen Gefühle wirklich so falsch sein, wenn sie doch alle Gottes Geschöpfe sind? Zumindest Urania empfindet eine tiefe Schuld. In ihrer Kammer hält sie die Hand über die Flamme einer Kerze.
Die große Distanz, die diese Liebe zu überwinden hat, veranschaulicht Stathoulopoulos mit einem Stilmittel, das die Symbolkraft der Bilder – den Abstand zur Wirklichkeit sozusagen – noch überhöht. Das Innenleben seiner Protagonisten wird durch Animationen im Stile byzantinischer Ikonografien visualisiert. Die Geschichte eröffnet mit einem Triptychon, in dem die Liebenden noch durch einen Felsen in ihrer Mitte getrennt werden. In einer zentralen Sequenz steigt Theodoros später in die Höhle des Minotaurus hinab, wo er einem ans Kreuz gehängten Jesus zwei Nägel in die Hände schlägt. Vom aus den Wunden strömenden Blut wird er durch die Gänge des Labyrinths wieder ans Tageslicht, in die Arme von Urania gespült.
Hermetische Zeichen
Die Vermischung von christlicher Bildsprache und griechischer Mythologie ist nur ein erzählerisches Element, das in „Meteora“ Rätsel aufgibt. Selten verlässt Stathoulopoulos das hermetische Zeichensystem mythischer Überhöhung – nicht einmal, wenn er Theodoros und Urania beim Sex in einer Höhle filmt. Doch sobald Theodoros das Kloster verlässt und mit den Menschen in den umliegenden Dörfern in Kontakt tritt, bricht eine Wirklichkeit in die stilisierte Inszenierung ein, die der strengen Form einen unberechenbaren Naturalismus entgegensetzt. Diese Momente erzählerischer Offenheit konturieren den Konflikt der Figuren viel besser als ihre gedämpften inneren Monologe.
Das neue griechische Kino hat in den vergangenen Jahren mit Regisseuren wie Giorgos Lanthimos und Athina Rachel Tsangari international für Furore gesorgt. Spiros Stathoulopoulos steht dagegen noch (oder wieder?) in der klassizistischen Tradition eines Theo Angelopoulos. „Meteora“ sieht sich mehr der Metaphysik des Kinos verpflichtet als den schroffen Verwerfungen des Lebens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!