Griechenlands Brände: Nach dem "Feuer-Tsunami"
Die Leute in den griechischen Dörfern fragen nach der Verantwortung der Regierung. Und sie beginnen mit etwas, worum sich bislang kaum jemand gekümmert hatte: Vorbeugen.
NEO ITYLO taz Als Maria Sotirakos das Feuer vom Balkon ihrer Pension aus sah, war es schon zu spät. Sie rief erst die Polizei an. Und dann ihren Freund John Lekas, auf dessen Hotel die brennende Front zuraste. Lekas ging nicht ans Telefon. Sie fanden seine verkohlte Leiche später etwas oberhalb des Hotels. Auch die seiner Schwester, des albanischen Zimmermädchens und die des Touristenpärchens aus Athen. Lekas und seine Schwester waren um die dreißig. Jetzt sind sie auf dem Friedhof von Neo Itylo begraben. Nur wenige Meter entfernt liegt ihr Hotel wie eine verlassene Burg am Hügel. Ein helles, massives Steingebäude mit einem eckigen Wohnturm. Darum herum schwarze Felsen.
Am Freitag, dem 24. August, kam das, was sie hier Feuer-Tsunami nennen und was die Welt später am Fernseher verfolgte, vom Gebirgspass heruntergeweht. Die Flammen fegten über die Olivenbäume an den Hängen und über die Häuser am Ufer. Bis zu Sotirakos Haus sind sie nicht gekommen, es liegt direkt am Meer. Der Wind drehte in die andere Richtung. Danach glühten die Berge an einigen Stellen, Asche überzog Gärten, Dächer und angeschmorte Autos. Oben in Aeropolis haben die Feuerwehr und die Bauern mit ihren Tanks den Brand dann irgendwie gelöscht.
Ab sofort soll alles anders werden. Neo Itylo versucht wie ganz Griechenland die Ursachen zu ergründen und Konsequenzen zu ziehen. Wenn wieder ein Feuer ausbricht, werden sie mit den Tanks ihre Hauswände und die Bäume darum herum nassspritzen. Das soll schützen. Wenn sie das Feuer denn rechtzeitig bemerken.
"Man hätte den Leuten sagen müssen, wie sie sich zu verhalten haben, wenn es brennt", sagt Apostolos Parpairis. Es ist Architekt und findet es einfach, sich zu schützen. Im Haus bleiben, die Wände mit Wasser besprenkeln, Handtücher feucht machen. An Steinhäusern bleiben Brände selten hängen. Die Touristen aber haben stattdessen panisch ihre Koffer gepackt, einige Geldscheine auf die Rezeptionstresen geworfen und sind den Berg hochgefahren. Dort steckten sie dann mit ihren Wagen fest. Wenn sie Glück hatten, sind die Flammen vorbeizogen. Anderswo sind ganze Autokorsos verbrannt. 64 Tote wurden nach dem Feuer bis jetzt gezählt.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat sich am Wochenende die Brandschäden in Griechenland zeigen lassen. "Das griechische Problem ist ein europäisches Problem", sagte er nach einem Flug über den Peloponnes.
Die EU hat dem Land bis zu 600 Millionen Euro Hilfe in Aussicht gestellt. Die Schäden nach den verheerenden Waldbränden werden auf mehr als das Doppelte dieser Summe geschätzt. Die Vegetation auf einer Fläche von etwa 190.000 Hektar wurde zerstört, 64 Menschen kamen in den Flammen ums Leben. Mehr als 2.000 Häuser sind beschädigt oder zerstört.
Die Großbrände sind seit einigen Tagen unter Kontrolle. Nun beginnt die politische Aufarbeitung. Der griechische Regierungschef Kostas Karamanlis sagte, der Staat habe "sein Bestes getan, um dieser nie da gewesenen Situation zu begegnen". Der Regierungschef steht vor den für den 16. September geplanten vorgezogenen Neuwahlen unter massivem Druck. AP
Apostolos Parpairis hat viele dieser alten Häuser renoviert. Der Architekt und Universitätsprofessor betreibt in Limeni das Hotel Mavromichalis. Es hat vier Sterne, Mauern aus Stein und einen eckigen Turm. Parpairis wohnt in Athen. Er kommt jede Woche ein paar Tage her, wie viele, die hier ihre Sommerhäuser haben. Er ist ein kleiner, kultivierter Mann mit einem freundlichen, runden Gesicht, Jahrgang 1941. Der Architekt spricht laut und deutlich. Wenn er vom Feuer redet, schreit er: "Die Regierung hat überhaupt nichts unternommen, um die Leute aufzuklären."
Wie Parpairis sorgen jetzt viele vor. Mittags kommt Dimitrios Sotirakos, der seinen Freund John Lekas verloren hat, mit einem neuen Wassertank aus Sparta zurück. In das hellblaue Plastikfass passen 1.000 Liter. Er hat es für 1.400 Euro in einem Landwirtschaftsgeschäft gekauft. Der Tank liegt auf der Ladefläche von Sotirakos Jeep mit Ladefläche. Dort wird er bleiben, solange es heiß ist. Sotirakos steht in grauen Shorts neben seinem Löschfahrzeug und streicht sich über den Vollbart. Das Meer hinter ihm ist blau, die Hänge sind schwarz und sehen aus wie riesige Kohleberge, aus denen nur wenige Baumgerippe ragen. Eine kilometerweite Aschelandschaft. Es riecht immer noch verbrannt.
Sie haben in ihrem Ortsteil von Neo Itylo insgesamt drei Tanks angeschafft. Sotirakos hat auch eine Pumpe mitgebracht, damit wollen sie einen 10.000-Liter-Behälter mit Grundwasser füllen und am Ende der Straße aufstellen. Für den Notfall. "Man kann nicht immer nur von der Regierung fordern, dass sie etwas unternimmt", sagt Sotirakos. "Das Dorf muss sich fragen, was es selbst tun kann."
Nach der Trauerfeier für Lekas und die anderen trafen sich die Leute aus Sotirakos Straße vor der Kirche, um zu beraten. Es hatte mittlerweile über hundert Brände auf der Halbinsel Peloponnes gegeben, in deren Süden Neo Itylo, Limeni und Aeropolis liegen. Als die Löschfahrzeuge der örtlichen Feuerwehr gebraucht wurden, waren alle bis auf eines irgendwo in den Bergen unterwegs. Man kann sich bei so einer Katastrophe nicht auf die Feuerwehr verlassen, darin waren sich Sotirakos und die anderen einig. Nicht, wenn es überall brennt. Sie beschlossen, zusammenzulegen und Tanks zu kaufen. Sie sammeln weiter. Die schwarzen Hügel liegen immer noch vor ihnen wie eine Warnung.
Dabei sind Neo Itylo, Limeni und Aeropolis eigentlich ziemlich glimpflich davongekommen. Es sind fast keine Wohnhäuser verbrannt, anders als an der Westküste des Peloponnes, wo die Brände sich nahe der antiken Stätte Olympia in etliche Dörfer hineingefressen haben. In Limeni fließt der Strom bereits wieder. Die Masten waren nach 36 Stunden aufgerichtet. Gerade weil der Schock tief sitzt, der Schaden sich aber in Grenzen hält, können sie jetzt endlich etwas tun, worum sich bisher kaum jemand gekümmert hat, obwohl es schon vor einem Jahr in der Gegend gebrannt hat und zuletzt vor ein paar Wochen: vorbeugen.
Man hätte Vorsichtsmaßnamen treffen können, sagt Apostolos Parpairis. Die verdorrten Sträucher um die Häuser herum hätten entfernt werden müssen. Um so eine Pufferzone zu schaffen. "Natürlich ist das nicht einfach, sicher ist es teuer, aber es kostet weniger als verbrannte Ruinen wieder aufzubauen." Parpairis ist so wütend wie tausende Athener, die vor wenigen Tagen gegen die Regierung demonstrierten. Aber er hätte da niemals mitdemonstriert. Besser selbst etwas unternehmen, sagt er. Dort, wo er wohnt, in einem Vorort der Hauptstadt, gehen sie im Sommer auf Brand-Patrouille. Sie wechseln sich ab, eine Freiwilligeninitiative.
Die freiwilligen Forsthelfer, die das mit staatlichem Auftrag in den Wäldern machten, hat die Regierung vor ein paar Jahren abgeschafft. "Es war alles ein Fehler, ein riesengroßer Fehler", schreit Parpairis, "aber jetzt müssen wir daraus lernen." Er brüllt das Richtung Ozean. Das Meer plätschert leise ans felsige Ufer.
Auch in Neo Itylo und Limeni ist die politische Auseinandersetzung angekommen. Auf einem Umweg. Die Polizei hat einen Rentner aus einem Nachbardorf festgenommen. Ein Einsiedlertyp, der seine ganze Familie bei Autounfällen verloren hat. Der Förster hat behauptet, er habe den Rentner beobachtet, wie er, kurz bevor es brannte, aus dem Wald kam. Er hat die Beschuldigung dann allerdings ziemlich schnell zurückgenommen. Deshalb ist jetzt überall von der Politik die Rede, davon, dass die Regierung Zeugen beeinflusst, um Schuldige präsentieren zu können. Dass der Rentner es war, glauben im Ort die wenigsten. "Der wird bald wieder freigelassen", vermutet Nikolas Kalapotharakos. "Die wollen den Leuten nur Sand in die Augen streuen. Die Polizei muss zeigen, dass sie etwas tut."
In zwei Wochen sind Wahlen. Der Architekt Parpairis ist dagegen, die konservative Regierung abzustrafen. Die Sozialisten hätten vorher lange genug regiert und nichts anders gemacht. Umweltbewusstsein muss endlich die Sache beider großer Parteien werden, denkt er. In Limeni überlegen manche Wirte jetzt, ob sie nicht das Linksbündnis SYN. wählen sollen, das zurzeit noch am ehesten ökologische Ziele vertritt. Theodora Lougani etwa, eine junge Frau mit hennaroten Haaren und dicken Armen, die mittags auf einer leeren Restaurant-Terrasse sitzt und hofft, dass irgendwann wieder Touristen kommen. Sie betrachtet die sonnenbeschienenen Aschehänge und denkt an den Winter. Wenn es stark regnet, fürchtet sie, wird das schwarze Geröll auf ihr Gasthaus herunterrutschen. Es gibt keine Wurzeln mehr, die die Bergoberfläche dann zusammenhalten. Lougani will sehen, wie die SYN. sich so präsentiert.
Kalapotharakos ist Vorsitzender der ökologisch-landwirtschaftlichen Gesellschaft von Griechenland, 68 Jahre alt und hat einen weißen Spitzbart. Er gibt eine der zwei örtlichen Zeitungen heraus, eine Art Anzeigenblatt. Zurzeit fährt er in seinem blauen Mercedes an den Brandhügeln vorbei und macht Bilder. Er hofft, dass die ökologische Linkspartei über 3,5 Prozent kommt und ins Parlament einzieht. Die schnelle Finanzhilfe der Regierung hält er für ein reines Wahlkampfmanöver. Würde nicht gewählt, gäbe es kein Geld, glaubt er. So aber gibt es 3.000 Euro für jeden Geschädigten und 10.000 Euro für die, die ein Haus verloren haben.
In seinem Anzeigenblättchen wird Kalapotharakos die Geschichte des brennenden Tsunamis aufschreiben. Er hat eine Theorie zum Ausbruch der Katastrophe, die ein bisschen nach Verschwörung klingt, aber er ist bei weitem nicht der einzige, der sie so äußert. Die Theorie handelt nicht von Terrorismus, sondern vom Tourismus, und sie basiert darauf, dass der Peloponnes als Reiseziel immer attraktiver wird, es ist auch vom "Florida Europas" die Rede. Es gab an der Westküste, dort, wo es am verheerendsten gebrannt hat, nicht nur Pinienwälder, die das Feuer wie Zunder schürten, es gibt dort auch sehr viele lange Sandstrände. Für große Konzerne war es bisher schwierig, ins Geschäft einzusteigen. Viele alte Bauern wollten ihr Land nicht verkaufen.
Als Kalapotharakos am Wochenende anfängt, seine Theorie aufzuschreiben, bricht in der Nähe von Sparta ein Feuer aus. Zwei Dörfer werden evakuiert. Sparta liegt im Landesinnern. Es gibt da keine Sandstrände.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut