Griechenland: "Das Land braucht eine grüne Partei"
Die Feuerkatastrophe ist das Produkt einer politischen Kultur, in der Cliquen den Staat ausnutzen und das ökologische Bewusstsein gegen Null tendiert, sagt der Autor Kostas Kalfopoulos.
taz: Herr Kalfopoulos, Griechenland wird alljährlich von schweren Waldbränden heimgesucht. Doch diesmal gibt es eine neue Qualität. Es wirkt organisierter...
Kostas Kalfopoulos: Der Eindruck täuscht nicht. Seit dem ersten großen Brand 1974, kurz nach dem Ende der Militärdiktatur, haben die Brände Jahr für Jahr mehr Fläche zerstört. Daran hatten sich die Griechen schon fast gewöhnt. Diesmal jedoch überrascht das Ausmaß und die Intensität. Die Lage ist eskaliert.
Wer ist Schuld?
Die Griechen sind fast ohne Ausnahme davon überzeugt: Hinter all diesem steckt ein echtes System, ein bislang undurchschaubarer und undurchsichtiger, aber gut geplanter Mechanismus, der auf Menschenleben keine Rücksicht mehr nimmt. Das macht die neue Qualität 2007 aus. Vielleicht auch noch die Tatsache, dass es wohl die letzten großen Brände sein werden. Denn es gibt nun kaum noch Wald, der brennen kann.
Trauen die Griechen der Regierung noch zu, effektiv gegen die Brände vorzugehen?
Nein. Das Vertrauen in die Regierung ist fast vollständig verschwunden - gerade weil die Brände sich schon oft wiederholt haben, ohne dass jemand dafür bestraft wurde. Die Griechen glauben auch kaum noch, dass naive Hirten oder unachtsam weggeworfene Zigaretten die Feuer entfacht haben. Auch die Spekulationen über Terroristen oder politisch motivierten Tätern sind bisher nicht bewiesen und gleichen eher Ablenkungsmanövern.
Wer war es dann?
Auch wenn es noch nicht bewiesen ist, sprechen das Ausmaß und die offensichtliche gut koordinierte Planung der Brände für ein Mafianetzwerk aus Bauunternehmern und anderen Spekulanten als Täter.
Nun möchte die EU mit Gesetzen einschreiten, weil sie dem griechischen Staat die Kompetenz in Sachen Naturschutz abspricht. Ist das vernünftig?
Nein, das ist der falsche Weg. Die EU hat schon oft versucht, Griechenland für verfehlte Politik zu sanktionieren und zu gängeln. Das ist eigentlich immer fehlgeschlagen. Die Griechen zahlen lieber Bußgelder, als sich von Brüssel etwas vorschreiben zu lassen. Das geschieht zum Beispiel mit den offenen, illegalen Müllhalden, die einfach nicht abgeschafft werden. Man wirft seinen Müll lieber in die Natur und andere, in diesem Fall die Regierung, zahlt dann die Strafe dafür. Daran vermag die EU mit Gesetzen nichts zu ändern.
Was muss sich dann ändern?
Weil es in Griechenland kein Grundbuch- und Katasteramt gibt, das die Eigentumsverhältnisse von Grund und Boden eindeutig definiert, herrscht keine Rechtssicherheit. Deshalb sind Bodenspekulationen traditionell ein Gebiet, auf dem sich in Griechenland schnelles, einfaches Geld machen lässt, oft ohne Risiko. Das muss sich ändern.
Was noch?
Die Menschen selbst bzw. ihr Verhältnis zum Staat. Denn was dem Staat aktuell an Fehlplanung und mangelnder Kompetenz in der Brandbekämpfung vorgeworfen wird, wird von den Bürgern auf anderen Gebieten ja ausdrücklich toleriert. Das Klientel- und Cliquensystem in Griechenland, die beiden mächtigen Parteien, die Kommunalpolitiker - eigentlich alle nutzen die Ohmmacht des Staates seit Jahrzehnten aus, um sich eigene Vorteile zu verschaffen. Das gilt im Steuerbereich, bei Baugenehmigungen oder bei der Jobverschaffung und anderswo. Eigentlich kann niemand in Griechenland behaupten, er sei unschuldig an diesem System. Die Bauspekulanten sind nur ein Teil davon - und fühlen sich regelrecht ermutigt, das Land mit Feuern zu überziehen.
Gibt es kein ökologisches Bewusstsein, das so etwas verhindert?
Das entwickelt sich langsam, zu langsam offensichtlich. In der Parteipolitik wie im gesellschaftlichen Alltag kommt der Begriff Ökologie nicht vor. Allerdings wären die Brände eine gute Chance, eine grüne Partei zu gründen.
In drei Wochen wählen die Griechen ein neues Parlament. In Deutschland hat ein Hochwasser mal eine Wahl mit entschieden. Fürchtet die regierende konservative Partei um ihre bisherige Mehrheit?
Ich fürchte vielmehr, dass die Brände das Hauptthema im Wahlkampf werden. Das wäre falsch, weil es sicher keine inhaltliche Auseinandersetzung über Ursachen und Konsequenzen geben wird - sondern nur Emotionen. Undurchsichtige Schuldzuweisungen und Verschwörungstheorien sind traditionell ein Mittel des Wahlkampfes in Griechenland. Dazu passen auch die aktuellen Beschreibungen wie Inferno, Apokalypse, Tragödie, die derzeit hier kursieren, aber nichts erklären. Wer das Thema Waldbrand jetzt besser besetzt, wird im Wahlkampf Vorteile haben.
INTERVIEW: TORSTEN HASELBAUER
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