Grenzsetzung-betr.: Redaktionelle Erklärung, taz vom 4.11.88 und Debattenseite taz vom 5.11.88

betr.: Redaktionelle Erklärung, Seite 5, taz vom 4.11.88

Man muß gar nicht unbedingt politische und moralische Kategorien bemühen. Der Satz “...ich interessiere mich nicht für deutsche Geschichte“, ist vor allem einfach dumm. Diese Dummheit begreift in der Tat nicht, was gut und was böse ist; sie kapiert überhaupt nichts. Nicht einmal, daß dies eine unüberbietbar groteske Selbstdisqualifikation als Journalist(in) ist. Satire darf eben, nach Auschwitz, doch nicht mehr alles. Tucholsky hätte das wohl auch so gesehen, denn er hat gewußt, daß die Verluderung der Sprache untrennbar verbunden ist, mit der Verluderung der Begriffe.

Hajo Seidel, Frankfurt am Main

Daß die taz auch für Clown, hip hop und tra la la steht, und sich dabei fast überschlägt, Worte purzeln, zerschlagen sich, „so eine gaskammervolle Disco ist was Feines“! saugeil, man war das wieder 'ne perverse Nummer von euch. Der Schreiberling sollte besser für die 'Bunte‘, oder 'Bild'zeitung schreiben, dazu braucht er dann kein Hirn, nur ausschließlich seine, ich muß schon sagen, vorzügliche Idotie.

Wahrscheinlich ist dieser Redakteur blond, blauäugig und ziemlich radikal und sozial aber halt braun, oder doch grün, oder lila oder... und die taz? Die ist super, links, toll, irre, spitzzzze, gibt's am Kiosk zu kaufen. Gleich morgen hin! Nur für dumme Intellektuelle und Spaßneurotiker.

Hildegard Veith, Berlin 61

Daß die Redaktion einem verantwortungslosen Umgang mit dem Wort Grenzen setzt, erscheint mir notwendig. Ich nehme bei gewissen Schreibern - besonders auf der Kulturseite - eine Willkür in Wortspiel und Vergleich wahr, die offenbart, daß es nicht um Berichterstattung, sondern um das Austoben eines verbalen Narzißmus geht. Die Wahrheit darf nicht dem Unterhaltungswert geopfert werden. Wo das Hauptinteresse ist, auffallende Formulierungen zu finden, geht die Achtung vor dem Wort verloren. Die Achtung vor dem Menschen ist damit verbunden.

Ansgar Liebhart, Stuttgart 51

Wer sich nicht mit deutscher Geschichte beschäftigt, deshalb auch nichts gegen Rassismen in der taz hat und das Prickeln beim Brechen solcher Tabus als eher anziehend empfindet, warum ist die/der nicht bei 'Bild‘?

Es gibt eben Tabus. Solche, die man brechen sollte, und solche, über die man nur sprechen, nicht aber spotten sollte.

Joseph v.Westphal hat eben was gegen Soldaten und schreibt dies in der 'Zeit‘. Wenn Kapielski was gegen Juden hat, dann bitte nicht in der taz, sondern sonstwo.

Aber er hat ja gar nichts gegen Juden, er möchte nur ein wenig Tabubrechen spielen, ein wenig die Scene belustigen, ein wenig (das möchte er wahrscheinlich schon gar nicht mehr) über Betroffene spotten, die Überlebenden treffen; aber das, wie gesagt sind 'Bild'-Methoden.

Christoph Borchardt, Polling

betr.: Debattenseite,

taz vom 5.11.88

(...) „Gaskammervoll“ zu drucken ist keine Frage des „Geschmacks“ oder des „guten Stils“, sondern schlicht die Demonstration der Gleichgültigkeit; nicht die berühmte „Pietät“ wird fallengelassen - diese selbst ist gleichgültig -, sondern jenes andere, das ein dauernder Schrecken ist, ein dauernder Schmerz. An die Stelle tritt Gleichgültigkeit

-„Wir sind dafür nicht verantwortlich, wir haben damit nichts zu tun, es geht uns einfach nichts an“ -, die sich sicher ist, daß nichts geschehen ist, die nichts weiß und nichts wissen will, die ihre Unbefangenheit mit großer Schärfe einklagt.

Sie will keine „Versöhnung“ wie die Regierungsriege, die christlichen Kirchen und Teile der Öffentlichkeit, sie will keinen „Schlußstrich“, wie die, denen es zuviel ist, sich zu erinnern, sie hat kein revisionistisches Verhältnis zur deutschen Geschichte; die Unbefangenheit einklagende Gleichgültigkeit will gar kein Verhältnis zur Geschichte, sie will, daß nichts gewesen ist, daß sich niemand erinnert, und schließlich wird sie wollen, daß die Zeugen und die Gedächtnisse schweigen.

„Geschichtslosigkeit“ ist gemeinhin ein Schreckgespenst aus dem Kanon der humanistischen Bildung; im Fall des inkriminierten Terminus dreht es sich nicht einfach um „Geschichtslosigkeit“, sondern offenbar um den Willen, Geschichte zu vergessen, sie auszulöschen, mit ihr das Eingedenken und den Schmerz; um den Willen, sich von dem, was man „Last der Geschichte“ nennt, was aber, hebt man den Mantel der Geschichts-Terminologie, unermessliches Leid war und ist, zu befreien.

Darin möchte ich Klaus Hartungs Begrifflichkeit noch einmal widersprechen, wenn er schreibt, daß „Freiheit entspringt nur aus der Akzeptanz unseres Wunsches nach Abwehr bzw. aus der Akzeptanz der Tatsache, daß wir nicht frei sind“. Die Subtilität dieser Überlegung verwischt, daß es den Fühllosen um ihre Freiheit geht, macht uneindeutig, daß es denen, die sich nicht von der Geschichte lossagen wollen, nicht um „Freiheit“ geht, sondern um Erinnerung und Verantwortung.

Uneindeutig ist schließlich der ganze Rahmen jener Seite 16. Warum trägt die Seite den Namen „Debatte“, was gibt es da zu debattieren, die Bedeutung des Ausdrucks „gaskammervoll“ ist eindeutig. Die Debatte ist bestenfalls dienlich zur Klärung der RedakteurInnen und MitarbeiterInnen, zu nichts anderem. Diese Klärung würde ich allerdings gerne in der taz dokumentiert finden.

Rainer Brändle, Frankfurt/M.