Grenzhandel: Die Dosen-Ritter
Dänen kaufen gerne in Schleswig-Holsteins ein, um zu sparen, besonders bei alkoholischen Getränken und Softdrinks. Jetzt aber will die dänische Regierung Steuern senken und so Umsatz zurück ins eigene Land holen.
Süderlügum taz | Es soll ein schönes Fest werden. Thomas Rasmussen (Name geändert) macht zusammen mit seinem vielleicht zehnjährigen Sohn die Ladeplane seines Anhängers fest. Sie verdeckt und schützt seinen Einkauf vor dem angekündigten Regen: Hunderte Dosen „Slots“, ein dänisches Billigbier, liegen in dem flachen, langen Hänger. Rasmussen hat das Bier gekauft für eine Konfirmation in seiner Familie, die irgendwo mitten in Dänemark stattfindet. 150 Kilometer ist er für diesen Einkauf gefahren. Er hat dafür Dänemark verlassen, ein bisschen jedenfalls.
Jetzt steht Rasmussen mit Kombi und Anhänger vor dem kleinen dänischen Laden Købmandsgården im nordfriesischen Dorf Süderlügum. Die Grenze ist zwei Kilometer entfernt. Der Mittvierziger ist vor allem aus einem Grund hier: um zu sparen. Er möchte nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen, gibt aber Auskunft zu seiner Kalkulation:
Umgerechnet 20 Cent pro Liter Bier gibt er bei seinem Kauf weniger aus, rechnet er vor. Auf seinem Hänger lägen etwa 160 Liter, sagt er. Er vergleicht die jeweils günstigsten Biersorten. Bei teureren Marken ist die Differenz manchmal größer. Auch die Softdrinks sind hier billiger. Sie kosten in Dänemark etwa doppelt so viel. Ein Grund: In Dänemark gibt es bisher eine Steuer auf Limonaden.
Die dänische Regierung will, dass Leute wie Rasmussen wieder in Dänemark einkaufen, und senkt deshalb die Steuern. Die Biersteuer soll um 15 Prozent sinken – eine Dose könnte so umgerechnet etwa drei Cent billiger werden. Die Softdrink-Steuer wird in zwei Schritten ganz abgeschafft, sie beträgt rund 25 Cent pro Liter Brause. Die ersten Steuersenkungen werden zum 1. Juli wirksam. Das bringt Wachstum, hofft die Regierung.
Sie schielt auf die Umsätze der auf den Grenzhandel spezialisierten Läden wie Købmandsgården, aber auch normale Supermärkte in der Grenzregion. Laut einer Studie des dänischen Handelsverbands De Samvirkende Købmænd haben 2011 rund 60 Prozent der dänischen Haushalte Bier oder Limonade in Grenzmärkten gekauft – der höchste Wert seit dem Beginn der Erhebung 2008.
In Süderlügum liegen die Spezialmärkte direkt an der Straße zur Grenze: Fleggaard, Priss, Nielsen Discount oder Calle heißen die Läden. Der erste liegt 1,5 Kilometer vom Grenzübergang entfernt.
Rasmussen fährt etwa alle zwei Monate nach Süderlügum, um einzukaufen, sagt er – auch wenn es gerade keine große Familienfeier gibt. Dann kommt er allerdings ohne Anhänger und macht nur sein Auto voll. „Ich werde auch nach der Steuersenkung noch hier einkaufen“, sagt er. Die Senkung sei zu gering. Außerdem findet er es praktisch, sich nicht um das Pfand kümmern zu müssen, das es auch in Dänemark auf Dosen gibt. „Es ist einfacher, sie loszuwerden.“ Rasmussen sagt, er gebe die leeren, pfandfrei erworbenen Dosen einem Bekannten, der sie dann an einen Schrotthändler weiter verkaufe.
Mit seinem Hänger voll Bier ist Rasmussen kein typischer Einkäufer an diesem Aprilabend in Süderlügum. Größere Mengen sind trotzdem die Regel. Immer wieder kommen Kunden mit fünf bis zehn 24er-Dosen-Paketen aus den Läden. 2011 haben Dänen laut einer Regierungsstatistik im deutschen Grenzhandel 300 Millionen Dosen Bier und 350 Millionen Dosen Softdrinks gekauft.
Die besonders günstigen Angebote gibt es für drei solcher Pakete, also 72 Dosen. Der Discounter „Priss“ bewirbt sein Angebot auf einem Transparent: drei Paletten Coca-Cola für 149 dänische Kronen – etwa 20 Euro.
Die dänischen Läden sind kleine Enklaven im Grenzland: Für die Käufer aus Dänemark gibt es vertraute Marken, das Personal spricht fließend Dänisch, die Beschilderungen sind auf Dänisch. Gezahlt wird vor allem mit dänischen Kronen. Wer eine Exporterklärung ausfüllt und einen dänischen Pass vorzeigt, muss kein Dosenpfand zahlen. Auf den Parkplätzen vor den Läden in Süderlügum stehen heute nur Autos mit dänischen Kennzeichen.
Auch Aldi, Lidl und Edeka haben in Süderlügum eine Niederlassung, akzeptieren Kronen und werben um dänische Kunden – etwa mit Anzeigen, dänischen Webseiten und den speziellen Dosenpaketen für den Export. Doch auch ganz normale Lebensmittel werden gut verkauft: Auch sie können deutlich günstiger sein. Denn die Mehrwertsteuer ist in Dänemark erheblich höher: Sie beträgt einheitlich 25 Prozent und es gibt anders als in Deutschland keinen reduzierten Steuersatz.
Im kleinen Süderlügum wird besonders gut sichtbar, wie stark der Einfluss der Kaufkraft aus Dänemark ist. Die Gelben Seiten listen für den 2.200-Einwohner-Ort allein sieben Supermärkte auf. So viele Einkaufsläden hätte der Ort ohne die dänischen Käufer wohl nicht, auch wäre die Gemeinde ärmer ohne die Gewerbesteuereinnahmen. Aber der Hauptort des Grenzhandels ist Süderlügum nicht.
Flensburg und seine Nachbargemeinden profitieren besonders stark. Sie sind eine dänische Einkaufsregion. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Lebensmittel, auch wenn das laut der Industrie- und Handelskammer (IHK) Flensburg das Kerngeschäft im Grenzhandel bleibt, sondern auch um Kleidung oder um Dienstleistungen. Auch Friseure und Zahnärzte versuchen, mit Dänen Geld zu verdienen.
An dänischen Feiertagen ist in der Flensburger Fußgängerzone besonders viel Dänisch zu hören. 60 Millionen Euro setzen die nördlichen Nachbarn pro Jahr in Flensburg um, in einigen Einkaufszentren bringen Sie ein Viertel des Umsatzes. An manchen Tagen kommen die Käufer busseweise zum Shoppen. In ganz Schleswig-Holstein soll der Grenzhandel jedes Jahr 800 Millionen Euro Umsatz bringen.
Auch andere dänischen Kunden glauben nicht, dass die angekündigten Steuersenkungen für sie die Touren zum Grenzmarkt überflüssig machen. Die Leiter der Süderlügumer Märkte geben selbst heute keine Interviews zum Grenzgeschäft und den erwarteten Auswirkungen der Steuersenkung in Dänemark.
Sie verweisen auf ihre Lobby-Organisation: Die Interessengemeinschaft der Grenzhändler (IGG) vertritt 21 Unternehmen. IGG-Vorstand Erik Holm Jensen findet, das Thema werde zu hoch gehandelt. Er gibt sich gelassen. „Die Senkung der Biersteuer ist marginal“, sagt er. Er erwartet keine oder wenn überhaupt kleine Auswirkungen auf den Grenzhandel. Die Abschaffung der Steuer auf Limo könne „zu einem gewissen Ausmaß“ Einfluss haben. Weniger optimistisch ist Lothar Raasch von der IHK Flensburg. Er befürchtet „erhebliche Auswirkungen“.
Doch was das konkret heißen wird, ist unklar. Dass der seit Jahrzehnten bestehende Grenzhandel erheblich zurückgedrängt wird, ist eher unwahrscheinlich. Das Preisgefälle zwischen Dänemark und Deutschland bei alkoholischen Getränken ist sehr deutlich zurückgegangen – er lohnt sich dennoch noch immer für die Verkäufer und Kunden. Und auch die Abschaffung der Fettsteuer in Dänemark zu Beginn des Jahres hatte keine großen Auswirkungen.
Nachdem die Plane des Anhängers festgezurrt ist, fährt Thomas Rasmussen weiter – zu einem anderen Grenz-Supermarkt, dort sind die Softdrinks gerade am billigsten. Auf dem Hänger ist noch Platz.
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