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Grenzenloses Schwingen

Die ungelösten Geheimnisse eines kleinen Kästleins namens Vibradorm

In der letzten Wochenendausgabe meiner Tageszeitung stieß ich auf der Suche nach den stets köstlichen Leserbriefen unvermittelt auf nebenstehende Stellenanzeige. VIBRADORM? Michelstadt? Irgendwie sagte mir das was.

Richtig. Es muss vor etwa sechs Jahren gewesen sein. Ich war begeisterter Defizitverleger und hatte in Mainz zu tun. Dort sollte die „Mainzer Minipressen Messe“ stattfinden, von deren Besuch ich mir nebst einiger Freunde nicht wenig versprach.

Ziemlich groß war dann auch unser Erstaunen, als wir die Rezeption unserer gefährlich bahnhofsnahen Unterkunft zu nächtlicher Stunde mit ausgesprochen zudringlich bekleideten Damen in Begleitung noch zudringlicherer Hunde angefüllt sahen. Nein! Das war nicht nach unserem Geschmack. In noch größeres Erstaunen versetzten uns alsbald kleine quaderförmige Plastikkästlein auf den Nachttischen mit der Aufschrift VIBRADORM. Wir wollten sie in unserer Einfalt zunächst für winzige Kondomautomaten halten. Dem aufgeklebten Text jedoch war zu entnehmen, dass das Produkt VIBRADORM aus Michelstadt gegen Einwurf einer Deutschmark die Liege samt darauf Ruhendem fünfzehn Minuten in angenehme Schwingungen versetze. Ziel dieses Vorganges sei grenzenloses Wohlbefinden.

Der schon damals nicht mehr ganz so junge Herr Steinmann ging der Sache sofort auf den Grund, entdeckte ein Kabel zwischen Kästlein und Stahlboden und begann, mit meinem Taschenmesser die schnell und präzis diagnostizierte Funktionsuntüchtigkeit des geheimnisvollen Apparates unverzüglich zu beenden. Dumm war freilich, dass alle im Hotelzimmer anwesenden Personen unter großzügigem Einsatz eigener Muskelkraft schon mal übermütig proberüttelten, um den rätselhaften Mechanismus an seine noch rätselhaftere Bestimmung zu erinnern. Im Ergebnis dieser unreifen Bemühungen ging allerdings die offenkundig altersschwache Bettstatt vollends zu Bruch.

Der damals ohne Zweifel noch ziemlich junge Herr Henschel sah sich nach Reparatur und Funktionstest veranlasst, das Erlebte aufs heftigste amüsiert zu verarbeiten, indem er sich wie ein Käfer auf dem Boden kugeln und hilflos mit Armen und Beinen rudern und propellern musste. Seine Ausführungen glitten sodann fließend in frei assoziierende Lach- und Heulkrämpfe über, sodass wir noch lange kein Auge zukriegten. Das versprochene Wohlbefinden wollte sich am nächsten Morgen bei keiner der anwesenden Personen recht einstellen, denn wir hatten, ich gebe es zu, am vorherigen Abend in mehreren Schenken Getränke getrunken, als säße uns die Prohibition im Nacken. So werden wir wohl nie erfahren, was VIBRADORM tatsächlich bewirkt. Denn laut Stellenausschreibung hat sich diese Firma mittlerweile profaneren Dingen zugewandt. Schade.

MICHAEL RUDOLF

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